20 000 Meilen unter Moabit
Nach jahrelangem Stillstand hat die Bahn Methoden entwickelt, um die S21 weiterbauen zu können
Schier unüberwindbar schienen die Hindernisse an der Baustelle der S21 am Hauptbahnhof in Moabit. Auf wenigen Hundert Metern stießen die Planer der Deutschen Bahn (DB) gleich auf drei Probleme, mit denen sie nicht gerechnet hatten. In der Folge tat sich seit Dezember 2015 nichts mehr in dem Bereich. Doch nun scheinen Lösungen gefunden.
Problem Nummer eins ist die Unterquerung der Minna-Cauer-Straße. Eigentlich hätte es unter der Verbindung zwischen Tiergartentunnel und Heidestraße sehr schnell laufen sollen. Schlitzwände an den Seiten und eine sogenannte HDI-Sohle in der Erde hätten eine trockene und stabile Umfassung für die Baugrube des eigentlichen Tunnels ergeben sollen. Doch bei der Erstellung der Sohle ist etwas schiefgelaufen. HDI steht für Hochdruckinjektion, der bestehende Boden wird mit Zement versetzt und so wasserdicht. Doch irgendwo drangen durch ein Loch so große Grundwassermengen ein, dass sie nicht abgepumpt werden konnten.
»Unter Wasser konnten wir mit den bisherigen Methoden die Undichtigkeit nicht beheben«, sagt Arno Jaeger, Projektleiter für den Bau der zweiten Nord-Süd-S-Bahn. 13 verschiedene Varianten habe man untersucht. Nun kommen Bautechniken wie aus einem Jules-Verne-Roman zum Einsatz. »Wir arbeiten mit ferngesteuerten Tauchbaggern«, erklärt der Bauingenieur. Unter Wasser werden Löcher in den schlammigen Untergrund gebohrt und mit Zement verfüllt. Anschließend wird auch das Erdreich unter Wasser abgebaggert. »Das ist in Deutschland Neuland«, berichtet Jaeger stolz. Beauftragt wurde das norwegische Unternehmen Scanmudring, das sich mit Bauarbeiten für Ölbohrinseln einen Namen gemacht hatte.
Wenn diese Arbeiten erfolgreich abgeschlossen sind, kann ein provisorischer S-Bahnsteig knapp vor dem Hauptbahnhof errichtet werden. Nach Fertigstellung wird ein Vier-Wagen-Zug zum Bahnhof Gesundbrunnen pendeln können. »Wir rechnen mit einer Inbetriebnahme Mitte oder Ende 2020«, so Jaeger.
Denn unter dem Hauptbahnhof, wo der finale S-Bahnhof entstehen soll, zeigten sich zwei weitere große Bauprobleme im Untergrund. Direkt neben dem Tunnel der U55, unter den Eisenbahnbrücken über den Humboldthafen wurde bei der hastigen Fertigstellung des Bahnhofs rechtzeitig zur Fußball-Weltmeisterschaft 2006 ein 900 Kubikmeter mächtiger Betonblock gegossen, der nicht in den Bauunterlagen verzeichnet war. Zu allem Unglück wurde darüber als Fundament für die Brückenpfeiler noch ein engmaschiges Betongitter verbaut. Für einen Bau von oben sind die Löcher zwischen den einzelnen Betonstreben zu klein, also muss auch hier mit Tauchern von der Seite gearbeitet werden. »Ein wesentlicher Punkt ist die Risikovorsorge«, sagt Jaeger. Im gesamten Bahnhofsgebäude werde derzeit ein umfangreiches Messsystem installiert. Es schlägt sofort Alarm, falls es zu Hebungen oder Setzungen jenseits der Grenzwerte kommt. Die Arbeiten sind so diffizil, dass Jaeger mit einer Fertigstellung nicht vor 2026 rechnet.
Die letzte offizielle Kostenschätzung für den Bau des Abschnitts der S21 zwischen dem S-Bahnring und dem Hauptbahnhof stammt aus dem Jahr 2015. 319 Millionen Euro waren damals dafür veranschlagt, allerdings ohne Bau des ursprünglich geplanten Zwischenhalts an der Perleberger Brücke. Der Senat prüft diesen noch. »Angesichts der baulichen Entwicklung in der Europacity wäre es ein Witz, wenn die S-Bahn daran ohne Halt vorbeifahren würde«, sagt Alexander Kaczmarek, DB-Konzernbevollmächtigter für Berlin.
Eine Herausforderung für die Ingenieure wird auch die geplante Fortführung der S21 zum Potsdamer Platz, wo sie sich in die bestehende Nord-Süd-S-Bahn einfädeln soll. Jeweils eingleisige Tunnel müssen um das Reichstagsgebäude herumgeführt werden, weil beim Bau der U55 auf die gleichzeitige Errichtung der S-Bahnstrecke verzichtet wurde. Der dritte Abschnitt vom Potsdamer Platz über das Gleisdreieck zur Yorckstraße ist vergleichsweise einfach zu bauen. Ob und wann der Weiterbau kommt, steht in den Sternen.
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