Besser sehen durch Mehrfachprojektion
Die Ausstellung »Mit anderen Mitteln« zeigt eine Retrospektive zu Experimentalfilmer Harun Farocki
Das Entree ist eine Projektionswand mit sieben übermannsgroßen Flaschen. Nacheinander wird in sie Wasser gegossen, von einer Flasche in die nächste. Die jeweils geleerte Flasche verschwindet. In der sich füllenden sieht man den Wasserspiegel steigen. »Umgießen« ist eine geradezu meditative Arbeit. Ein Vorgang wird beständig wiederholt. Mit ihm wird Zeit fühlbar und erfahrbar, ermessbar auch - nicht im Sinne von Messen in konkreten Zahlen, sondern im Versuch, ein Maß zu finden für etwas.
Ein Maß zu finden für Dinge und Ereignisse, war ein treibendes Moment im Schaffen von Harun Farocki. Berühmt wurde er zu Zeiten des Vietnamkrieges. In seinem Film »Nicht löschbares Feuer« zeigt er die Schrecken des Einsatzes von Napalm durch eine Darstellung der Hitzeentwicklung dieser Kriegswaffe auf. Sich eine brennende Zigarette auf dem Unterarm ausdrückend, sagt Farocki in die Kamera: »Eine Zigarette verbrennt mit etwa 400 Grad, Napalm verbrennt mit etwa 3000 Grad Hitze.« Jedem Raucher, damals wie heute, wurde die Grausamkeit dieses auf der Haut haftenden Brennmaterials sehr deutlich bewusst.
»Umgießen«, die Großprojektion im NBK, führt auch in ein Werkprinzip des späten Farocki ein, die - von ihm so genannte - »weiche Montage«. Anstatt Bilder aneinanderzuschneiden zu einem fortlaufenden Streifen, stellte der Filmemacher die Bilder nebeneinander, in zwei-, drei-, fünf- oder sogar sechskanaligen Installationen.
Zwei dieser umfangreicheren Werke sind in der Ausstellung ebenfalls zu sehen. »Tropen des Krieges« führt auf fünf parallelen Monitoren Sequenzen aus Kriegsfilmen zusammen. Die Schützengraben-Perspektive wird dabei raumfüllend inszeniert. Männer liegen im Dreck. In Großaufnahme sind ihre Gesichter zu sehen, mal erschöpft, mal mit Sehnsucht in den Augen, weil sie gerade das Bild ihrer Frau oder Freundin hervorgekramt haben. Dann wieder sind ihre Züge zu einem harten Lachen verzerrt. Aber auch Schrecken, also die von Schauspielklassen Hollywoods bevorzugte Simulation des Gesichtsausdrucks von Schrecken, macht sich in ihren Mienen breit.
Farockis Installation erlaubt das Studieren der Darstellung von Krieg, des Sich-Eingewöhnens in den Krieg von den heimischen Wohnzimmern und den Kinopalästen aus. Gern hätte man nun noch gesehen - dank einer Kamera, die die Reaktionen von Kinopublikum aufzeigt - wie dieses Eingewöhnen geschieht.
Aber der späte Farocki kann es an Radikalität mit dem frühen Farocki dann doch nicht aufnehmen. 1990 in »Leben - BRD« filmte Farocki, wie Menschen in der Bundesrepublik sich auf ihr Leben einübten - Hebammenschülerinnen probten an einem Unterleibsmodell die Geburtshilfe, Kinder übten das Überqueren einer Straße, Jung-Manager simulierten Konferenzen. Die Menschen in diesen Szenen wurden funktional getrimmt, sie verloren Eigenheiten, wurden zu Maschinen in einer Maschinengesellschaft.
Nun gut, das didaktische Aufarbeiten der Maschinenartigkeit der gegenwärtigen Gesellschaft ist inzwischen vielleicht obsolet. Man weiß es ja längst - und fügt sich trotzdem. Was allenfalls bleibt als Ausbruchsmöglichkeit, hat Farocki, dieser cineastische Tausendsassa, ebenfalls schon bearbeitet. »Fressen oder Fliegen« heißt seine Installation auf sechs parallelen Monitoren. Sie zeigt das selbst in die Hand genommene Sterben von - meist - weißen Männern. Die Sekunden vor ihrem Selbstmord sind zu sehen: Das Fenster, aus dem sie springen werden. Der Lauf der Pistole, aus dem sie die den Tod bringende Kugel abfeuern werden. Das Fahrzeug, das sie überrollen wird. Die Quellen sind Filme von Buñuel und Chabrol, Fassbinder und Godard.
Die Ausschnitte sind Ankündigungszeichen eines Todes, in Serie gesetzt, dadurch vergleichbar und selbst fast schon von industrieller Dimension. Der serielle Tod ist ein düsterer Kommentar des vor drei Jahren gestorbenen Filmemachers für die Nachwelt. Farockis frühe Filme sind in einem Parallelprogramm des Kinos Arsenal zu sehen. Am 26. November wird zum Beispiel »Nicht löschbares Feuer« gezeigt.
»Mit anderen Mitteln«, bis 28.1.2018, NBK, Chausseestraße 128/129, Mitte
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