Wie zwei Geschäftsmänner den staatlichen Ölkonzern PDVSA ausgenommen haben

18 Anklagepunkte, über 100 Bankkonten, hunderte Millionen US-Dollar Schaden. Ein US-Gericht verhandelt den Fall Rincón/Shiera

  • Moritz Wichmann
  • Lesedauer: 14 Min.

Die Geschichte von Roberto Rincón beginnt in der Hafenstadt Maracaibo im Nordwesten von Venezuela. Als junger Mann beginnt Rincón für das Unternehmen eines Onkels im Ölgeschäft zu arbeiten. Diese verkauft Material und Ausrüstung an Ölfirmen. Wohlhabend ist er nicht, lebt zeitweise in einer Sozialwohnung. Doch der Ingenieur arbeitet sich hoch. In den späten 80er Jahren gründet Rincón seine eigene Firma, 1992 eröffnet er seine erste Firma in Houston.
Dann gewinnt Hugo Chavez 1998 die Präsidentschaftswahlen. Vor allem mit Hilfe der Ölmilliarden des staatlichen Erdölkonzerns PDVSA setzt er den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« um: Sozialprogramme, sozialer Wohnungsbau und Bildungsausgaben halbieren die Anzahl derer, die in extremer Armut leben, und verhelfen vielen Armen zu einem besseren Leben. Nach Angaben von Venezuelas Vizepräsident für Planung und Wissenschaft, Ricardo Menendez, gab die bolivarianische Regierung dafür zwischen 1999 und 2015 im Durchschnitt 62 Prozent der Staatseinnahmen für Sozialausgaben aus, 2017 sollen es sogar 70 Prozent sein.

Möglich machten das die sprudelnden Öleinnahmen des staatlichen Konzerns PDVSA und der hohe Ölpreis. Doch Chavez geht weiter und enteignet auch Firmen. Dann holen seine Gegner zum Gegenschlag aus: 2002 versucht die bürgerliche Opposition mit einem Generalstreik und einem Putsch, die Macht im Lande zurückzuerlangen - und scheitert nach zwei Tagen. Kurz danach feuert ein erboster Chavez rund 18.000 PDVSA-Angestellte und ersetzt diese mit loyalen Anhängern. Doch viele von ihnen kennen das Ölgeschäft kaum. Zulieferer wie Rincón nutzen das in den folgenden Jahren aus, er beginnt sich um Aufträge des Ölkonzerns zu bewerben.

Etwa 1,5 Millionen Venezolaner sind seit der Wahl von Hugo Chavez 1998 ins Ausland emigriert. Einige aus politischen Gründen, andere, weil sie sich im Ausland bessere berufliche Chancen versprechen. Viele von ihnen gehen in die USA. Darunter junge Leute und arme Migranten, die in Restaurants in Miami oder New York arbeiten. Doch viele, die gegangen sind, stammen aus der Mittelschicht. Und auch reiche Venezolaner fliehen vor dem Sozialismus des Hugo Chavez, bringen ihr Geld in den Steueroasen der Karibik oder in den USA in Sicherheit. Gleichzeitig entsteht nach 1998 eine neue Schicht von Funktionären, die unter Chavez zu Reichtum kommt: die »Boligarchen«.

Viele der venezolanischen Migranten aus dieser Zeit lassen sich in und um New York nieder sowie in Südflorida - in Miamis Stadtteil Doral stellen sie sogar 17 Prozent der Bevölkerung. Und einige ziehen an den westlichen Rand von Houston, angezogen von den Jobs in der texanischen Ölindustrie. Hier lebt auch Ricardo Rincón.

Ein internationales Netzwerk von Firmen
Er gründet nach Jahren erfolgreicher Arbeit im Erdölgeschäft in Venezuela 2004 eine weitere Firma in Houston: Tradequip Services. In den Folgejahren baut er hier ein Netzwerk von Firmen auf. Nach Recherchen des venezolanischen Nachrichtenportals Armando sind Ende 2014 über 30 Firmen auf den Namen Rincóns oder seiner Familienmitglieder registriert. 23 in den USA, sechs in Venezuela und vier in Spanien.

Rincón verhält sich unauffällig, lebt in einem Vorort von Houston in einer Gated Community in einem Sieben-Millionen-Dollar-Haus, umgeben von großen Hecken, Wachschutz, einer Garage mit Platz für mehr als zehn Autos und einem gesicherten »Panic Room«. Still und leise führt der Ölmagnat von Houston aus sein Multi-Millionen-Imperium, bis er Ende 2015 von der US-Staatsanwaltschaft verhaftet wird.

Ebenfalls ansässig in Houston ist das Tochterunternehmen des staatlichen venezolanischen Ölkonzerns PDVSA zum Ankauf von Ausrüstung, Bariven S.A. Die Tochterfirma vergibt Aufträge über die Beschaffung von Material und Wartung der Ölplattformen in einem Ausschreibungsverfahren. Ein Verkaufsanalyst stellt dabei eine Kommission zusammen, die den Bieterprozess leitet. Die Kommission erstellt eine Liste von Firmen, die angesprochen werden, um Angebote zu einem speziellen Auftrag einzureichen. Nach Sichtung der eingesandten Angebote wird dann der Gewinner des Auftrags bestimmt. Damit soll eigentlich gesichert werden, dass das Unternehmen die Aufträge an den Zulieferer mit dem besten Angebot vergibt. Doch Rincón und sein Partner manipulieren die Auftragsvergabe zu ihren Gunsten. Sie erhalten so Millionen Dollar für Aufträge, die nie oder nur unvollständig erfüllt wurden, außerdem für Material, das auf den Bohrplattformen im Golf von Venezuela nicht ankommt oder überteuert verkauft wird. Das Betrugssystem läuft mindestens zwischen 2009 und 2014, so steht es in der Anklageschrift.

18 Anklagepunkte: Bestechung, Geldwäsche, Verschwörung
Auf 40 Seiten beschreibt die Anklageschrift detailliert, wie Rincón, sein Partner Abraham Shiera und ihre Helfer dabei vorgingen. Sie umfasst 18 Punkte. Der Vorwurf: Verschwörung nach dem Foreign Corrupt Practices Act, Bestechung und Geldwäsche.

Ende Juli 2011 etwa erhält eine Firma von Rincón einen Auftrag von PDVSA im Wert von 7,7 Millionen Dollar, zehn Tage später bestellt die gleiche Firma genau das gleiche Equipment bei einer anderen von ihm kontrollierten Firma - für nur 7,3 Millionen Dollar. Monate später werden dann Schmiergelder für angeblich erbrachte Leistungen überwiesen: Ende März 2012 stellt ein PDVSA-Mann über eine Firma, die er mit einem Verwandten besitzt, einer Firma Rincóns eine Rechnung über 150.000 Dollar für »Ingenieursdienste auf der Ölplattform GP-20«.

Ihre Kontakte beim venezolanischen Ölkonzern nennen die beiden in E-Mails »Alliados« - Verbündete. Diese reden Rincón mit »Guten Tag, Boss« an, wie aus der Anklageschrift hervorgeht. Diese beschreibt auch, wie die »Verbündeten« Informationen über bevorstehende Aufträge Rincón und Shiera zukommen lassen. Die beiden wiederum schicken ihren Partnern Listen mit den Namen von Firmen zu, die von der Bieterkommission für einen bestimmten Auftrag zusammengestellt werden sollen. Auf den Listen befinden sich dann mehrere Firmen, die von Rincón und Shiera kontrolliert werden.

Strohmänner und Briefkastenfirmen
So wird der Eindruck erzeugt, der Bieterprozess sei ein offener Wettbewerb, obwohl er es nicht ist. Anschließend sorgen die korrupten PDVSA-Mitarbeiter dafür, dass Firmen von Rincón und Shiera ausgewählt werden, ändern auch den Umfang von Bestellungen und sorgen dafür, dass die Firmen der beiden Geschäftsmänner sofort und bevorzugt bezahlt werden.

In einer dieser Listen, die ein PDVSA-Mitarbeiter Anfang März 2012 an Rincón schickt, werden mehrere Kommissionen beschrieben. In zahlreichen Vergabekommissionen sind zwei bis vier von Rincón und Shiera kontrollierte Firmen ausgewählt, um Angebote zu machen.

Um zu verschleiern, wer die Firmen wirklich kontrolliert, werden Familienmitglieder und Strohmänner als formale Besitzer oder Manager der Firmen bestimmt. Rincón und Shiera führen Buch, welche der korrupten PDVSA-Mitarbeiter ihnen Aufträge in welcher Höhe beschafft und dementsprechend Anspruch auf Schmiergeldzahlungen haben. Ende Oktober 2011 sendet ein Geschäftspartner eine E-Mail an Shiera mit einer detaillierten Excel-Liste über Verträge, die von dem Einkaufsleiter beaufsichtigt wurden - der Betreff lautet: »Unbeglichene Provision«. Ende März 2012 meldet Shiera in einer Antwort an zwei Geschäftspartner und Rincón: »Rincóns Firma sollte das Bieterverfahren gewinnen, die Provision ist fünf Prozent des Kaufpreises« und »RR wird die Kommission bezahlen« - gemeint ist Roberto Rincón. »Provisionen« nennen sie die Schmiergeldzahlungen.

Bankkonten in Panama, teurer Whiskey und Reisen nach Miami
Explizit in der Anklageschrift genannt werden Schmiergeldzahlungen von Rincón in Höhe von 600.000 Dollar und von Shiera in Auftrag gegebene Zahlungen über 190.000 Dollar. Doch das sind nur die Zahlungen, für die die Staatsanwälte glauben, gerichtsfeste Beweise zu haben. Insgesamt hätte Rincón allein einem Beamten über die Jahre 2,5 Millionen Dollar zukommen lassen, schreibt US-Richterin Nancy Johnson in ihrem Haftbefehl.

Dazu erklären Rincón, Shiera und ihre Geschäftspartner den korrupten PDVSA-Männern, wie diese Bankkonten in Panama einrichten können, um Bestechungsgelder außerhalb von Venezuela zu erhalten. Doch die beiden Boligarchen versorgen ihre »Verbündeten« auch anderweitig: Im April 2010 bezahlt Rincón den Kredit für das Haus eines PDVSA-Mitarbeiters in Texas ab, im Dezember 2011 bezahlt ein Geschäftspartner von Shiera für einen weiteren PDVSA-Mann eine Hotelreservierung über 14.000 Dollar für das Fontainebleau Hotel in Miami Beach, im Januar 2012 schickt derselbe Geschäftspartner eine E-Mail an Shiera über eine Whiskeylieferung an einen Mitarbeiter des venezolanischen Ölkonzerns mit der Anmerkung: »autorisiert durch AS« (Abraham Shiera).

Hat die US-Regierung zugeschaut?
Vertreter der venezolanischen Opposition sagen, die Obama-Administration habe dem Treiben lange zugeschaut und nicht den »politischen Willen« gehabt, gegen die Ölmagnaten vorzugehen, weil man die Regierung in Venezuela nicht habe destabilisieren wollen. Auf der Suche nach einer linken Einschätzung aus Venezuela stößt man nur auf äußerste Zurückhaltung. Dass es Korruption gebe, sei bekannt, die komme sowohl bei PDVSA als auch in der venezolanischen Privatwirtschaft vor, aber nein, den Fall und auch die Rolle der US-Regierung wolle man nicht kommentieren.

Doch es könnte auch einen anderen, banaleren Grund dafür geben, dass die beiden Ölmagnaten jahrelang nicht belangt wurden: Eine entsprechende Anklage vorzubereiten dauert lange und das Gesetz, das Shiera, Rincón und anderen Boligarchen das Handwerk legen könnte, wurde erst in den vergangenen Jahren in größerem Umfang angewandt.

Die Anklage beruht auf dem Foreign Corrupt Practices Act. Das Anti-Korruptionsgesetz bestraft das Vergeben von Geschenken und die Zahlung von Bestechungsgeldern an ausländische Unternehmen. Dieses US-Bundesgesetz gilt seit 1977. Doch vor allem »gegen Ende des letzten Jahrzehnts« sei die Anzahl der Ermittlungen und Verurteilungen nach dem Gesetz in die Höhe geschnellt, hat ein Forschungsprojekt der Standford University ermittelt. Ein »Mix verschiedener Faktoren« hätte dazu geführt, sagt Willam Garrett von der Standford Law School dem »nd«. Zum einen seien mittlerweile durch Gesetzesverschärfungen Manager persönlich haftbar, durch die Verbreitung des Internets könnten korrupte Praktiken leichter ermittelt werden. Außerdem habe das US-Justizministerium angefangen, auch Vergleiche zu schließen. Generell sei die Verfolgung von Korruption global gestiegen, so der Datenanalyst.

Fast 500 Fälle in mehr als 100 Ländern hat es demnach gegeben. Auch Siemens und der brasilianische Baukonzern Odebrecht sind betroffen - um mehr als 500 Millionen Euro Schmiergeld ging es in beiden Fällen. In vielen anderen Fällen sind die - zumindest gerichtsfest aufgedeckten - Zahlungen weniger umfangreich, so auch im Fall Rincón/Shiera.

Die Anklageschrift zeigt auch, wie die Angeklagten versuchen, so wenig Spuren wie möglich zu hinterlassen. Nach der Zahlung der Hotelrechnung in Venezuela schickt Shiera eine E-Mail an seinen Geschäftspartner: »Bitte erledige diese Sachen außerhalb der Buchführung.« Nach dem Bericht über die Whiskeylieferung beschwert sich ein anderer Geschäftspartner, der die E-Mail in Kopie erhielt: »Mann, du hättest Abrahams Namen nicht erwähnen sollen und meinen auch nicht«.

Ein unauffälliger Multimillionär
Die »Houston Press« hat recherchiert, wie Rincón sein Geschäft ausbaute und dabei ein unauffälliges Leben im Luxus führte. Schon 2005 beginnt er die Geschäfte seiner Familie zu »diversifizieren«. Rincóns Sohn José kauft 2005 eine Autowaschanlage und gründet eine private Sicherheitsfirma, im nächsten Jahr gründen beide eine kleine Flugfirma. Ihr Name: Global Air Services Corp.

Während 2008 der Ölpreis verfällt und die erdöldominierte Wirtschaft Venezuelas in die Krise schlittert, finden parallel zur Hochzeit der Tochter von Rincón in Houston die Latin Grammys statt. Nach der Awardverleihung spielen die Stars für die Hochzeitgesellschaft, bezahlt von Rincón. Ein Hochzeitsvideo, das dem Fernsehsender El Pitazo zugespielt wurde, zeigt den Ölmagnaten auf der Hochzeit seines Sohnes im November 2014 vor luxuriöser Kulisse in Ecuador: unter 48 weißen Säulen und mit 25.000 Rosen. Doch ansonsten führt Rincón, umsorgt von Angestellten, ein zurückgezogenes Leben, der Pool seiner Villa in Woodlands, Texas, ist von hohen Hecken verdeckt.

Spur auf der Karibikinsel Aruba
Doch im Juli 2014 führen die Spuren eines diplomatischen Vorfalls zu Rincón und sorgen dafür, dass sein Name plötzlich im Licht der Öffentlichkeit steht: Holländische Behörden verhaften auf der Karibikinsel Aruba den ehemaligen Chef des venezolanischen Militärgeheimdienstes, Hugo Carvajal.

Der steht seit 2008 auf der von Bill Clinton im »Krieg gegen die Drogen« angelegten »Clinton-Liste« als »Helfer« des Drogenhandels der kolumbianischen Farc-Guerilla. Carvajal jedoch beschreibt sich als »bolivarianischer Soldat und Verteidiger von Hugo Chavez«. Eigentlich sollte er im Juli 2014 in Aruba neuer Konsul Venezuelas werden. In der viertägigen Haft beruft er sich während des diplomatischen Kräftemessens zwischen Venezuela und den USA auf seine politische Immunität und verlässt schließlich die Insel mit einem Privatflugzeug. Am Heck der Chartermaschine prangt laut Augenzeugen die Registriernummer N9GY. Das Flugzeug ist zugelassen auf Global Air Services, die Firma Rincóns, wie der amerikanische Lateinamerikajournalist Steven Bodzin recherchiert hat. Immer wieder spekulieren venezolanische Medien vor und nach dem Vorfall über Verbindungen von Rincón zu einflussreichen PDVSA-Managern.

108 Bankkonten und eine Milliarde Dollar Schaden
Rincóns Hoffnung, sein luxuriöses Leben in den USA einfach fortsetzen zu können, geht nicht in Erfüllung: Das FBI ermittelt schon seit Langem gegen ihn und Shiera. Seit 2012 befragt die amerikanische Bundespolizei seine Geschäftspartner. Am 16. Dezember 2015 werden er und Shiera sowie acht weitere Männer verhaftet. Zunächst schlägt das Gericht eine Kaution von 10.000 Dollar vor, doch nachdem Richterin Nancy Johnson die Ermittlungsergebnisse vorlegt, wird die Empfehlung geändert.

Selbst fünf oder zehn Millionen Dollar Kaution würden Rincón nicht von der Flucht abhalten, heißt es im Haftbefehl der »nd« vorliegt. Er besitze Häuser in Spanien und auf der Karibikinsel Aruba und verfüge über »signifikante Geldmittel, die ein Leben auf der Flucht finanzieren könnten«, es bestehe daher Fluchtgefahr. Rincón kontrolliert demnach 108 Bankkonten, eine Milliarde Dollar seien im Zuge der Verschwörung zwischen 2009 und 2014 auf drei Konten bei der Credit Suisse in der Schweiz geflossen. Und er bewegte bei seinem Geschäft von Jahr zu Jahr größere Summen. Zwischen 2010 und 2014 waren es 750 Millionen von insgesamt einer Milliarde Dollar, die Richterin Johnson Rincón zurechnet.

Insgesamt untersuchen die Ermittler 730 Bankkonten von Rincón, Shiera und ihren Helfern. Doch das könnten noch nicht alle sein, vielleicht gibt es weitere, von denen die Regierung nichts wisse, schreibt Johnson. Der Grund: Das Schweizer Bankgeheimnis erlaubt den US-Behörden nur die Verfolgung von Zahlungen aus den USA auf Schweizer Bankkonten, nicht aber eine mögliche »Weiterüberweisung« von Geldern auf andere Konten.

Geschichte der Korruption
Doch der Milliardenschaden, den Shiera und Rincón angerichtet haben, ist nur ein kleiner Teil der Korruption bei PDVSA. Bis jetzt ist nur wenig von dem Geld entdeckt worden, das die Boligarchen in den USA und anderswo in Sicherheit gebracht haben.

Laut dem Bericht einer Parlamentskommission aus dem vergangenen Jahr sind unter PDVSA-Präsident Rafael Ramirez von 2004 bis 2014 insgesamt elf Milliarden verschwunden. Der Bericht des von der rechten Opposition kontrollierten Parlaments untersucht elf bekannte Korruptionsfälle, darunter auch den überteuerten Kauf von Ölbohr-Equipment. Die Regierung verurteilte den Bericht als »Schmähkampagne«.

Doch das Problem ist älter als die Herrschaft der Chavistas. 1997 ermittelte die Nichtregierungsorganisation Pro Calidad de Vida in Caracas, dass seit Anfang der 70er Jahre insgesamt 100 Milliarden US-Dollar Öleinnahmen verschwanden oder verschwendet wurden. Der Prozess gegen Rincón und Shiera zeigt damit nur einen kleinen Ausschnitt der Korruption.

Die Gerichtsverhandlung
Im März 2016 bekennt sich Rincóns Geschäftspartner Shiera in einem Anklagepunkt für schuldig. Die Regierung beschlagnahmt seine 900.000 Dollar teure Sunseaker-Yacht und 15 Millionen Dollar in bar. Rincón streitet die Vorwürfe zunächst ab, doch im Juni vergangenen Jahres macht er dasselbe wie Shiera: Er bekennt sich der Verschwörung und zusätzlich noch des Steuerbetrugs für schuldig.

Rincón hatte der amerikanischen Steuerbehörde »Internal Revenue Service« (IRS) für 2011 ein Jahreseinkommen von 266.000 Dollar gemeldet, obwohl Ermittler schätzen, dass er mindestens 6,5 Millionen US-Dollar verdiente. Auch bei Rincón beschlagnahmen die Ermittler »signifikante Geldmittel« sowie einen Ferrari und einen Lamborghini. In der Folge wird seine Untersuchungshaft in Hausarrest umgewandelt. Eigentlich sollte das Urteil gegen Rincón und Shiera Ende August verkündet werden, doch aufgrund der Schäden von Hurrican Harvey ist der Southern District Court of Texas in Houston über Tage nicht erreichbar. Gegenüber »nd« verkündet eine Gerichtssprecherin schließlich, die Urteilsverkündung sei auf Februar 2018 verschoben worden. Weitere Helfer von Rincón und Shiera verfolgen eine ähnliche Strategie wie die beiden Geschäftsmänner: Sie bekennen sich dieses Jahr in separaten Verfahren bei einzelnen Anklagepunkten für schuldig, der letzte Ende Oktober.

Die Anklage sei Teil einer »Verleumdungskampagne« gegen Venezuela, verkündet PDSVA in einer Reaktion Anfang 2016. Doch im Dezember vergangenen Jahr ändert das Staatsunternehmen seinen Kurs. Die von Rincón und Shiera betrogene Tochterfirma Bariven wird Nebenklägerin im Prozess und fordert Schadenersatz. Laut einer internen Ermittlung sei dem Konzern ein Schaden von 600 Millionen Dollar entstanden.

»Die Korruption ausrotten«
Im Januar reagiert auch Venezuelas Präsident Nicolas Maduro. »Wir müssen die Korruption ausrotten, die sich im Ölsektor ausgebreitet hat«, erklärt er in seiner wöchentlichen Fernsehbotschaft. Er kreiert einen neuen Vizepräsidentenposten und besetzt ihn mit dem ehemaligen Armeegeneral Maribel Parra. Außerdem ernennt Maduro Simon Zerpa zum Vizepräsidenten für Finanzen. Er hatte vorher einen großen chinesisch-venezuolanischen Fonds geleitet. Es sind nicht die einzigen Wechsel in der Führungsstruktur in den letzten Jahren.

Doch der Fall Shiera/Rincón wird nicht der letzte sein. Das US-Justizministerium ermittelt weiter zu Korruption bei PDVSA. Die nun angeklagten Boligarchen sind vermutlich nur zwei von vielen, weitere Prozesse könnten folgen. Man wolle das »komplexe Netzwerk« von Bestechungszahlungen »unermüdlich« bekämpfen und offenlegen, so das Justizministerium in Washington. Die Bestechung von Staatsbeamten anderer Nationen sei »schädlich für Handel, Industrie und sogar ganze Nationen«.

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