Radikal Hartnäckig

Hessische Berufsverbotsopfer lassen nicht locker und fordern Rehabilitierung

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Auch 45 Jahre nach der Umsetzung des Radikalenerlasses, der in der alten Bundesrepublik mit einer Welle von Berufsverboten vielen Angehörigen linker Organisationen den Weg in den Öffentlichen Dienst versperrte und Lebensläufe zerstörte, ist die Aufarbeitung der Folgen noch längst nicht abgeschlossen.

So verabschiedeten dieser Tage die Teilnehmer einer Tagung der DGB-Bildungsgewerkschaft GEW in Kassel einen Offenen Brief an alle hessischen Landtagsabgeordneten. Darin wird die vorbehaltlose Aufarbeitung des begangenen Unrechts, Rehabilitierung und Entschädigung gefordert. Das von den früheren Berufsverbotsopfern Silvia Gingold (Lehrerin) und Axel Seiderer (Eisenbahner) unterzeichnete Schreiben wird auch von führenden hessischen Gewerkschaftern aus ver.di, IG Metall und GEW sowie der antifaschistischen Vereinigung VVN-BdA unterstützt.

Auslöser des Briefs ist eine von der hessischen Koalition aus CDU und Grünen im Januar 2017 eingebrachte und mehrheitlich angenommene Entschließung des Landtags zum 45. Jahrestag des Radikalenerlasses. Darin werden zwar »ungerechtfertigte Nachteile« für einige Betroffene bedauert. Gleichzeitig wird die damalige Praxis jedoch mit »der Bekämpfung des Terrors der RAF, der Gründung der DKP und dem Einzug der NPD in zahlreiche Landtage« in jenen Jahren gerechtfertigt. »In Anwendung des Radikalenerlasses konnte der Eintritt von Menschen in den öffentlichen Dienst verhindert werden, die tatsächlich nicht auf dem Boden unserer Verfassung standen«, so der Wortlaut.

Mit diesem Landtagsbeschluss wurde ein Antrag der Linksfraktion zum Radikalenerlass abgelehnt, die damals die Debatte ins Rollen gebracht hatte. Der LINKE-Antrag entsprach weitgehend dem Wortlaut einer Entschließung, die der niedersächsische Landtag kurz zuvor im Dezember mit den Stimmen von SPD und Grünen verabschiedet hatte. Im Wiesbadener Landtag stimmten die Grünen allerdings aus Loyalität zum Koalitionspartner CDU gegen diesen Text.

Die Berufsverbotsopfer wollen diese Positionierung des Landtags nicht auf sich sitzen lassen und empfinden die faktische Rechts-Links-Gleichsetzung in der Entschließung als »Geschichtsklitterung« und »eher als Verhöhnung denn als Bedauern« gegenüber den Opfern. Diese Aussage suggeriere Gewaltbereitschaft und kriminalisiere zugleich unser politisches Engagement, so der Brief. »Wir fühlen uns dadurch diskreditiert und in unserem Ansehen beschädigt.« Die Unterzeichner widersprechen vor allem der Behauptung der schwarz-grünen Koalitionäre, dass ein Teil der Betroffenen »tatsächlich nicht auf dem Boden unserer Verfassung« gestanden habe. »Wir fordern diejenigen, die dieser Entschließung zugestimmt haben, nachdrücklich dazu auf, hier die allgemeine Behauptung durch konkrete Fälle zu belegen. Alles andere wäre die schlichte Fortsetzung der Diskriminierung aktiver Demokraten, ohne dass ihnen jemals juristisch haltbare Vorwürfe gemacht werden konnten«, heißt es in dem Offenen Brief.

Die Initiatoren fordern die Parlamentarier auf, nach dem Vorbild des bremischen Senats und des niedersächsischen Landtags »dieses an uns begangene Unrecht in Hessen aufzuarbeiten, uns zu rehabilitieren und entsprechend zu entschädigen«. Schließlich habe das Berufsverbot für viele jahrelange Arbeitslosigkeit, existenzielle Sorgen und damit einen wesentlichen Eingriff in die Lebens- und Berufsbiografie ausgelöst.

Zu den Betroffenen gehört auch der 69-jährige Mannheimer Reinhard Gebhardt. Für ihn blieb aufgrund der damaligen Zugehörigkeit zu einer K-Gruppe nach dem Studium der Zugang zum Schuldienst versperrt. Er hielt sich als Fabrikarbeiter und Lkw-Fahrer über Wasser und bezieht heute eine karge gesetzliche Rente von 652 Euro.

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