Mexikos Journalisten im Fokus der Kartelle

Berichterstattung aus den Grenzgebieten über das Milliardengeschäft Migration ist gefährlicher denn je

  • Kathrin Zeiske, Ciudad Juárez
  • Lesedauer: 8 Min.
Ein Soldat der texanischen Nationalgarde hindert Journalisten am 09. Mai 2023 in El Paso, Texas, an der Annäherung an Migranten, die aus Mexiko übergesetzt haben.
Ein Soldat der texanischen Nationalgarde hindert Journalisten am 09. Mai 2023 in El Paso, Texas, an der Annäherung an Migranten, die aus Mexiko übergesetzt haben.

Eine Staubwolke steht über dem Grenzstreifen am Rio Bravo. Über den rostroten Stahlstreben der Mauer kreist ein schwarzer schnittiger Hubschrauber. Immer wieder nimmt er bedrohlich Anflug auf eine Gruppe von Menschen; mit Rucksäcken bepackt und Kleinkindern auf dem Arm laufen sie in alle Richtungen davon. Panzerfahrzeuge der texanischen Nationalgarde warten hinter den Natodrahtfeldern, die vor einem gigantischen Tor in der Mauer ausgelegt sind. Auf mexikanischer Seite steht eine vermummte Aufstandsbekämpfungseinheit. Ein Uniformierter schubst einen Fotografen mit Kamera grob zur Seite.

»Über Gewalt zu berichten ist eine der schwierigsten Aufgaben im Journalismus«, konstatiert Rocio Gallegos, Redakteurin der Internetplattform »La Verdad Juárez«. Diese Gewalt spielte sich gerade vor allem am breiten Grenzstreifen vor dem Rio Bravo und der Mauer ab. »In diesem Gebiet bündeln sich sämtliche Formen des illegalen Schmuggels: von Drogen, Waffen und Menschen.« Hier stritten zahlreiche Gruppen des organisierten Verbrechens um die Vorherrschaft.

Migranten bieten ein Milliardengeschäft

Für diese sind Geflüchtete seit der Aussetzung des Asylrechts in der Pandemie unter Trump zu einem Milliardengeschäft mit größerer Gewinnspanne als der Drogenhandel geworden. Auch die völlige Digitalisierung von Asylprozessen unter US-Präsident Joe Biden spielte den mexikanischen Kartellen in die Hände. Aktuell ist Donald Trumps baldige Rückkehr ins Präsidentschaftsamt ein Gewinngarant ohnegleichen angesichts der Verzweiflung derjenigen, die oft eine Reise durch den halben Kontinent oder gar die halbe Welt hinter sich haben, bevor sie vor den rostroten Stahlstreben der Mauer stehen.

»Früher gab es bei der Berichterstattung vom Grenzstreifen nie Probleme«, so Gallegos. Aber in den vergangenen drei Jahren habe sich das geändert. »Noch nie zuvor standen wir so sehr im Fokus der Kartelle wie heute, wenn wir über Migration berichten.« In den Grenzabschnitten in den Außenbezirken der Industriemetropole Ciudad Juárez, Chihuahua, werden Medienschaffende vertrieben und bedroht. Denn dort überqueren jeden Tag Dutzende oder sogar Hunderte klandestin die Grenze mithilfe der Kartelle.

Wie im Nordwesten der Stadt, wo das Viertel Anapra an die zerklüftete Bergkette Cristo Rey grenzt; der einzige Punkt, wo keine Mauer zwischen den Zwillingsstädten Ciudad Juárez und El Paso, Texas, steht. Den höchsten Punkt markiert ein weithin sichtbares weißes Kreuz. Das Gebiet wird von Mountainbikern und Spaziergängern genutzt, die aus El Paso mit dem Auto anfahren. Auf dem Parkplatz steht die US Border Patrol. In den Berghängen blitzen Spiegelchen auf, mit denen sich die Späher der Kartelle Zeichen geben.

Attacken gegen Journalisten

»Hinter dem Schleusen an der Grenze steht das organisierte Verbrechen«, erklärt die Journalistin Gallegos, die lange Jahre für den »Diario de Juárez«, die größte Tageszeitung der Stadt, gearbeitet hat. Die Regierung sei aber auch verstrickt in Korruption. »Zu berichten, wie Menschen geschleust werden, welche Routen genutzt werden und ähnliche Details, bringt den Lokaljournalist*innen von Ciudad Juárez Drohungen ein.« Und es bleibe nicht dabei: »Medienschaffende werden auch tätlich angegriffen bei der Berichterstattung.«

Der Druck auf Journalist*innen und Medien werde immer intensiver. Sowohl politische Instanzen als auch die Kartelle versuchten Informationen zu kontrollieren, ihre eigene Narrative durchzusetzen und die Verbreitung journalistischer Recherchen, Enthüllungen oder Berichte über Korruption zu blockieren. Einen freien und unabhängigen Journalismus zu betreiben, sei »ein Akt des Widerstands«, der durch Anfeindungen, Diffamierung und Kriminalisierung noch schwieriger wird.

»Es gibt immer mehr Klagen, die darauf abzielen, unsere Arbeit zu verhindern, uns zum Schweigen zu bringen, uns davon abzuhalten, weiter zu berichten.« Viele dieser Angriffe gingen leider von offiziellen Stellen aus – also von Instanzen, die eigentlich verpflichtet wären, die Meinungsfreiheit, das Recht auf Information und sichere Arbeitsbedingungen für Journalist*innen zu gewährleisten. Traditionelle Medien reduzierten zunehmend ihre Redaktionen und die gesamte Presse wird mehr und mehr von unabhängigen Journalist*innen und Medien getragen.

All das verschärfe die ohnehin prekäre Situation von Journalist*innen. So wurde im November 2023 Ismael Villagómez ermordet. Sein Fall zeigt die erweiterte Dimension des Berufsrisikos. Um sein Gehalt als Fotojournalist aufzubessern, arbeitete er als Fahrer für eine Mitfahrplattform. Dabei wurde er überfallen und ermordet. Diese Art von Gewalt kommt zu den Gefahren hinzu, denen Journalist*innen in ihrem Beruf ohnehin schon ausgesetzt sind.

Der Fall Miroslava Breach

Seit dem Jahr 2000 sind in Mexiko 163 Journalist*innen ermordetet worden. Der Bundesstaat Veracruz führt die Liste mit 31 Morden an, gefolgt von Guerrero mit 17 Morden. Dann kommen Oaxaca, Tamaulipas und Chihuahua mit jeweils 15 getöteten Journalist*innen. Veracruz, Oaxaca und Guerrero sind südliche Küstenstaaten, die seit langer Zeit politische Spannungen erleben und im Schatten des organisierten Verbrechens stehen. In Oaxaca und Guerrero gibt es aber auch eine starke Tradition von sozialen Kämpfen. Tamaulipas und Chihuahua hingegen sind an der Grenze zu Texas gelegen. Ihre geografische Lage bedingt den Drogenschmuggel.

In Chihuahua ist Miroslava Breach der emblematischste Fall. Sie wurde im Jahr 2017 ermordet. Breach berichtete über konfliktreiche und komplexe Themen wie Frauenmorde und Korruption aus dem gesamten Bundesstaat für die mexikanische Tageszeitung »La Jornada«. Zuletzt recherchierte sie in der Sierra von Chihuahua. Einem Gebiet mit wenig medialer Berichterstattung, wo das organisierte Verbrechen eng mit der Politik verbunden ist.

Einsame Trassen ziehen sich in der Sierra durch bewaldete Hügellandschaften. Kleine Ansiedlungen liegen weit abgeschieden zwischen unfassbar tiefen grünen Schluchten. Hier stellt die indigene Minderheit der Raramuri die Mehrheitsbevölkerung. Flüchteten sie vor ein paar hundert Jahren vor den »chabochis«, den weißen Teufeln, ins unzugängliche Gebirge, so werden sie heute von diesen wieder aus ihm vertrieben. Die Kartelle betreiben im Goldenen Dreieck zwischen Chihuahua, Sinaloa und Durango Drogenhandel Richtung Grenze, holzen die Pinienbestände ab, legen Marihuana- und Schlafmohnplantagen an und zwingen Dorfgemeinschaften zur Sklavenarbeit auf ihnen.

Die Journalistin Miroslava Breach deckte auf, dass ein Angehöriger der kriminellen Gruppe Los Salazares, einer Untergruppierung des Sinaloa-Kartells, sich als Bürgermeisterkandidat der Partei PRI in der Gemeinde Chinipas aufstellen wollte. Er wurde zum Rücktritt gezwungen und Breach in der Landeshauptstadt Chihuahua ermordet, als sie ihren Sohn zur Schule brachte.

Ihr Fall offenbare die schwierigen Bedingungen, unter denen Journalist*innen arbeiteten und wie die Risiken ihrer Arbeit sie im Privatleben einholten, so Leonardo Alvarado, Betreiber der unabhängigen Internetplattform »JuárezDialoga«. »Vor den Augen seiner Kinder war auch der Polizeireporter Armando ›El Choco‹ Rodríguez im Jahr 2008 in Ciudad Juárez erschossen worden. Damals war die mexikanische Grenzstadt der erste Ort, in den Ex-Präsident Felipe Calderón im von ihm ausgerufenen «Krieg gegen die Drogen» das Heer einmarschieren ließ, um das Juárez-Kartell zu bekämpfen.

«Juárez ist keine Kaserne, Armee raus!»

«In dieser Situation wurde die Stadt militärisch besetzt», erzählt Leonardo Alvarado. «Ich erinnere mich, dass wir als Zivilgesellschaft mit dem Slogan auf die Straße gingen: ›Juárez ist keine Kaserne, Armee raus!‹» Der gesellschaftliche Druck führte dazu, dass die Armee die Stadt verließ. «Doch leider wurde die Situation nicht besser, als die Bundespolizei unter Leitung von Sicherheitsminister Genaro García Luna eintraf, der 2024 wegen Drogenhandel und organisierter Kriminalität in New York verurteilt wurde.» In den Jahren 2009 und 2010 verschlimmerte sich die Lage in Ciudad Juárez noch und neben Morden griffen Erpressungen und Entführungen um sich. «Es war eine soziale Tragödie.»

In dieser Zeit waren Journalist*innen in Ciudad Juárez enormen Gefahren ausgesetzt. Reporter*innen der Zeitung «Diario de Juárez» arbeiteten unter extremen Bedingungen: Sie berichteten vom Tatort, während Killer noch anwesend waren, und wurden von Militär und Polizei bedroht. Leonardo Alvarado erinnert sich: «El Choco wurde 2008 ermordet und ein Jahr später sein Kollege Carlos Santiago Orozco.» Sogar das Verlagsgebäude der Zeitung wurde von Kriminellen beschossen. «Inmitten dieser Gewalt veröffentlichte der Direktor der Zeitung, Osvaldo Rodríguez, einen kraftvollen Leitartikel mit der Frage: ›Was wollt ihr von uns?‹ Er richtete sich damit an die Kartelle und fragte, was zu tun sei, um die Gewalt zu stoppen», so Alvarado.

Heute sind die Einschusslöcher am Verlags- und Druckgebäude des «Diario» verputzt, der einstigen Trutzburg der Informationsfreiheit in einer umkämpften Stadt. In der Grenzmetropole zwischen Wüste und Mauer wechseln sich weitläufige Wohnviertel mit Industriegebieten ab, dazwischen Schutthalden und Brachland. Häusermeere mit Blick auf die Vereinigten Staaten leeren und füllen sich hier im Takt der Fabrikschichten.

Die Mordzahlen in Ciudad Juárez sind zurückgegangen, die Grenzstadt ist von Platz eins auf Platz zehn der gewalttätigsten Städte der Welt gerückt. Unter diesen zehn tragischen Orten befinden sich allerdings sieben mexikanische Städte. Der Kampf der konkurrierenden Kartelle um Territorien hat sich in andere Landesteile verlagert. «Auch wenn die Lage in Juárez heute ruhiger erscheint, wiederholt sich die Situation von damals heute in vielen anderen Teilen Mexikos.» Kartelle führten regelrechte Schlachten gegeneinander und es herrsche ein nicht deklarierter Krieg, unter dem die Bevölkerung leide und bei dem Journalisten zum Schweigen gebracht würden.

In Mexiko stellt der in Ciudad Juárez begonnene «Krieg gegen die Drogen» definitiv einen Wendepunkt dar. Bis heute wurden im Land über 350 000 Menschen getötet, fast 100 000 sind verschwundenen. Auch die Zahlen der Journalist*innenmorde sind seit seiner Ausrufung unter Präsident Felipe Calderón in die Höhe geschossen. Während unter seinem Vorgänger Vicente Fox noch 21 Journalist*innen ermordet wurden, waren es in den vergangenen drei Amtsperioden (Calderon, Peña Nieto und López Obrador) jeweils fast 50 Personen.

«Noch nie zuvor standen wir so sehr im Fokus der Kartelle wie heute, wenn wir über Migration berichten.»

Rocio Gallegos Redakteurin

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