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»Warum wurde Burak ermordet?«

Am Wochenende wurde der zweite Teil des Denkmals für den unaufgeklärten Mord enthüllt

  • Philip Blees
  • Lesedauer: 4 Min.

Viele Fotografen und ein Kamerateam haben sich an diesem Sonntagnachmittag an der Rudower Straße gegenüber dem Neuköllner Klinikum eingefunden. Im Gras liegt das Laub der beiden auf der Grünfläche stehenden Bäume. Vereinzelt fällt Regen. Trotz des herbstlichen Wetters sind viele Menschen - größtenteils Angehörige, Freunde und Unterstützer - zur Vorstellung der Gedenktafel gekommen, legen Blumen nieder und zünden Kerzen an. Auch mehr als fünf Jahre nach dem Tod von Burak Bektaş ist die Trauer nicht verflogen.

Am 5. April 2012 wurde der damals 22-Jährige im Süden Neuköllns erschossen. Der bis heute unbekannte Täter gab fünf Schüsse auf ihn und seine Freunde ab, mit denen Burak sich an diesem Abend an der Rudower Straße - fünfzig Meter entfernt von der Gedenkkundgebung - traf. Zwei von ihnen wurden schwer verletzt und konnten nur in einer Notoperation gerettet werden. Burak starb an den Folgen eines Lungendurchschusses.

Damals - fünf Monate nach der Selbstenttarnung des NSU - war das ein Schock. »Wir haben uns daran erinnert gefühlt«, sagt Rolf Sommer, Sprecher der Initiative für die Aufklärung des Mordes an Burak Bektaş. Die Familie, Freunde und die ganze Nachbarschaft empfanden den Mordanschlag auf offener Straße als große Bedrohung: Kein Tatverdächtiger wurde verhaftet, keine heiße Spur gefunden. »Wir, als Gruppe, haben nach dem Motiv gefragt«, sagt Sommer.

Für die Angehörigen war die Sache klar. Sie organisierten schon wenige Tage nach dem Mord eine Gedenkdemonstration gegen Fremdenfeindlichkeit. Auch die Initiative, die aus der Familie von Burak, Freunden und antirassistischen Aktivisten besteht, fordert die unbedingte Aufklärung des Mordes. »Es muss davon ausgegangen werden, dass es ein rassistischer Mord war«, sagt Sommer. So lange, bis jemand das Gegenteil beweise. Die gesellschaftlichen Umstände seien hierfür Grund genug. Bei den NSU-Morden habe die politische Linke viel zu spät reagiert. Bei Burak sollte es nun anders laufen.

Fünfeinhalb Jahre nach dem Mord wird nun das Denkmal, das an Burak erinnern soll, endlich verwirklicht. Melek Bektaş, die Mutter von Burak, wünschte sich dies schon kurz nach dem Tod ihres Sohnes. Unüberschaubar soll es sein, und unzerstörbar. Provisorische Gedenktafeln wurden in der Vergangenheit schon zweimal angegangen. Das aus Spenden finanzierte Denkmal aus Stein und Bronze soll dem nun widerstehen können. Es soll sich zu einem »Ort der individuellen Trauer« entwickeln, so die Initiative. Auch das mutmaßliche rassistische Tatmotiv und die an die Ermittlungsbehörden gerichtete Forderung nach Aufklärung wird thematisiert.

Bei der Polizei stehen diese Ermittlungen derzeit allerdings still, berichtet die Initiative. »Wir haben das Gefühl, dass sich nichts mehr tut«, sagt Sommer. Trotzdem werden die Ermittlungen nicht eingestellt. Wieso, weiß niemand so genau. Das ist jedoch nicht die einzige Ungereimtheit, die die Initiative an den Ermittlungen kritisiert. Zeugen seien nur ein einziges Mal befragt worden. Eine Gegenüberstellung mit dem verurteilten Mörder des Briten Luke Holland, der 2015 ebenfalls in Neukölln erschossen wurde, wird verweigert, obwohl der Sammler von Waffen und Nazidevotionalien, Rolf Z., auch in der Akte von Burak auftaucht. Dort soll allerdings die Rede von einem Täter mit Bart gewesen sein, und Rolf Z. trage keinen Bart, laute die Begründung der Staatsanwaltschaft.

Für die antirassistischen Aktivisten ist das zu wenig. »Wir fordern ein neues Aufrollen des Falls«, sagt Sommer. Eine unabhängige Untersuchung soll mit Hilfe von Experten aus unterschiedlichen Disziplinen zu einer neuen Beurteilung führen. So möchte die Initiative »noch mal ganz genau gucken, welchen Indizien nachgegangen worden ist«. Hierfür sei die Politik verantwortlich.

Diese Forderungen werden auch auf der Gedenkkundgebung sichtbar. Transparente mit der Aufschrift »Rassismus, wieder das Motiv?« oder »Wir fordern Aufklärung« hängen zwischen den Bäumen. Vor dem schon fertig gestellten Sockel liegen Schilder mit den offenen Fragen der Angehörigen und Freunde. »Für uns ist Gedenken immer auch eine Forderung nach Aufklärung«, tönt es aus der Anlage. Am sechsten Todestag, im Frühling 2018, soll das Denkmal fertig gestellt sein. Danach will sich die Initiative wieder mehr den politischen Forderungen widmen.

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