Turbulentes Leben
F.-R. de Chateaubriand
Er war das zehnte Kind eines Landadligen in der bretonischen Provinz und hatte es schon beinah geschafft, in Versailles am Hofe Ludwig XVI. zu dienen, als seine Welt 1789 unterging. Die Revolution machte alle Aussichten zunichte. Vom Fenster eines Pariser Hotels sah er, wie ein Haufen zerlumpter Menschen zwei aufgespießte Köpfe durch die Straßen trug und auch ihn bedrohte. Diese Köpfe, berichtete er, »änderten meine politische Entscheidung«. Er empfand »Abscheu vor solch kannibalischen Festen« und beschäftigte sich nun ernsthaft mit dem Gedanken, Frankreich zu verlassen. 1791 zog er für Monate nach Amerika.
Francois-René de Chateaubriand (1768 - 1848) hat später alles aufgeschrieben. In seinem Buch »Erinnerungen von jenseits des Grabes« erzählt er die turbulente Geschichte eines Lebens voller Abenteuer, Wirrnisse und Wendungen. Er floh vor der Schreckensherrschaft der Jakobiner und diente in der Interventionsarmee, die gegen die Revolution zu Felde zog, war Streiter für die Erneuerung des katholischen Glaubens, ein Aristokrat und Politiker, der erst unter Napoleon, dann auch unter den Bourbonen in hohe Ämter gelangte, ein Reisender, der Amerika erkundete und später auch den Orient, dazu Verfasser zweier Romane, die allerdings längst vergessen sind. Geblieben aber sind seine Memoiren, ein Werk von rund zweitausend Seiten, 1803 in Erwägung gezogen, 1811 mit der Schilderung seiner Kindheit begonnen, nach Jahrzehnten beendet und Monate nach seinem Tod erstmals gedruckt.
Chateaubriand, von Flaubert und Victor Hugo geliebt, war in Frankreich lange umstritten. Vielen galt er als Reaktionär, andere rühmten zu Recht den genialen Publizisten und Schriftsteller. Heute stehen seine »Erinnerungen von jenseits des Grabes« selbstverständlich in der Pléiade, der großen Sammlung klassischer Literatur. Seit 1968 gibt es sie, gestützt auf diese Edition, auch in deutscher Sprache, übersetzt von Sigrid von Massenbach, die für die verdienstvolle, soeben bei Matthes & Seitz in ihrer Version erschienene Neuausgabe auch das ausführliche Nachwort verfasst hat, ergänzt mit einem Essay von Ursula Pia Jauch sowie Anmerkungen und Lebensdaten.
Diese Memoiren, schrieb Stephan Hermlin, sind »ein hochbedeutendes, sogar einzigartiges Buch«, der Bericht über ein kurvenreiches Leben, bunt, kraftvoll, faszinierend. Chateaubriand verlor einen großen Teil seiner Familie in der Revolution, er war und blieb Monarchist, wurde Minister und Botschafter, stieg mehrmals auf und fiel auch wieder, verlor seinen gesamten Besitz, verarmte. Man darf ihm in seiner Erzählung nur nicht in allem gutgläubig folgen. Dazu ging es ihm viel zu sehr um die Stilisierung der eigenen Person. Aber da war ein bewundernswerter Erzähler am Werk. Und der lieferte starke, eindrucksvolle Bilder des alten Frankreich.
Francois-René de Chateaubriand: Erinnerungen von jenseits des Grabes, Matthes & Seitz, 896 S., geb., 38 €.
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