»Armut ist Schikane, Sir«

Im Kino: »Machines« von Rahul Jain

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 4 Min.

Es wird die wenigsten überraschen, dass die Textilfabriken auf dem indischen Subkontinent keine Stätten individueller Selbstfindung sind. Dass Näherinnen in Bangladesch unter kollabierenden Fabriketagen sterben, damit kleine Mädchen in Europa mit vollen Tüten vom Shoppen in Billigkleiderketten nach Hause gehen können.

Der indische Filmemacher Rahul Jain, geboren in Neu-Delhi, ausgebildet in den USA, ist für ein Studentenprojekt an der Kunsthochschule CalArts in seine Heimat zurückgekehrt und hat die Realität hinter dem gefilmt, was für ihn glückliche Kindheitserinnerungen waren. Sein Großvater hatte eine Textilfabrik im indischen Bundesstaat Gujarat: ein Paradies für einen unternehmungslustigen Fünfjährigen, der noch nicht verstand, was er da sah. Die labyrinthischen Gänge zwischen den Druckmaschinen, der Kohlegeruch der Kesselräume - was für das Kind ein Abenteuerspielplatz war, ist für den Filmemacher eine Stätte der Ausbeutung und Entfremdung.

Die Fabrik seines Großvaters gibt es nicht mehr, aber es fand sich eine andere. Geändert hat sich wenig. Das Gefühl der Ohnmacht vor den riesigen Maschinen ist dem Filmemacher geblieben, die kindliche Begeisterung für Maschinenhalle und Kesselräume dem Entsetzen gewichen. Glücklicherweise lässt Jain die Bilder für sich sprechen - und die Arbeiter. Er selbst ist nur über Kamera und Schnitt präsent. Den Ton beherrscht der Lärm der Halle, das Sausen der Maschinen, das gelegentliche Interview. Finanziert wurde der Film in Indien und Europa.

Es ist alltäglicher Missbrauch und von den Verhältnissen aufgezwungene Selbstentfremdung, die Jain filmt. Schichten dauern zwölf Stunden, aber es wird auch schon mal 48 Stunden am Stück gearbeitet, weil die Fabrik nicht täglich in Betrieb ist und man mitnehmen muss, was sich an Verdienst bietet. Denn der Markt bestimmt, wann produziert wird und wann die Arbeiter schlafen dürfen. Hingestreckt auf Stoffballen filmt der Filmemacher sie, und mancher stiere Blick verrät schon während der Schicht, dass keiner hier je genug Schlaf bekommt - und wie monoton die Tätigkeiten sind. Schon die Anfahrt ist ein hartes Training: 36 Stunden stehend in einem Zug voll mit Männern, die zu Hause keine Arbeit finden konnten.

Arbeitsschutz ist ein Fremdwort, Gewerkschaften sind es ohnehin. Und hinter dem menschlich-ökonomischen Desaster lauert schon das nächste, das ökologische. Die Reise auf einen anderen Erdteil wird so zu einer Zeitreise in Zustände, wie sie in Europa zuletzt zur Zeit der industriellen Revolution die Norm waren. Gewinn ist alles, der Mensch nichts als ein Zuarbeiter der Maschinen, Gewerkschaften sind praktisch inexistent - und wenn einer eine gründen will, bezahlt er das nicht selten mit dem Leben. Von Sklaven unterscheidet diese Arbeiter nur die Bezeichnung. Und ein Minimum an Stolz, der zugleich Selbstbetrug ist: denn wer »freiwillig« Tausende Kilometer weit fährt, um eine Arbeitsstelle zu ergattern, kann ja kein Sklave sein. Oder doch?

Der Arbeitgeber, spät im Film im Bild, hat nicht viel mehr zu sagen als dass seine eigenen Kosten ständig stiegen - und dass ein ungebildeter Arbeiter ja ohnehin nicht wisse, was mit dem Geld anzufangen sei, wenn man ihm etwa mehr zahlte. Ein Schwenk aus der Luft über den Fabrikkomplex macht deutlich, welche Größenordnung das Problem hat. Nur hat natürlich auch der Filmemacher keine Lösung: eine Gruppe Arbeiter vor den Toren der Fabrik filmend, wird er schließlich gefragt, was er denn nun zu tun gedenke? Ob er nicht vielleicht für kürzere Schichten sorgen könne? Er schweigt.

Das Ergebnis all der Opfer fällt weich, ist schmiegsam, sehr hübsch anzusehen. Jain inszeniert sie in Kaskaden fröhlicher Farben, die Stoffbahnen, die am Ende von so viel Elend stehen. Jeden Morgen mache er vor den Fabriktoren Halt und frage sich, ob er nicht lieber umkehren solle, sagt einer der vielen minderjährigen Jungen, die hier arbeiten. Aber die Hoffnung, etwas zu lernen, das eines Tages den Ausstieg aus der Hölle erlauben wird, die Hoffnung ist stärker. Der Aufstieg winkt. Später. Irgendwann.

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