Werbung

Auserzählte Extreme

Der deutsch-schwedische Fünfteiler »Springflut« ist solide gemachte Krimikost

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Was für ein Tod! Bis zur Brust steckt die werdende Mutter im Sandstrand und wartet panisch auf ihren Mörder: eine Springflut, die hier zwar nur bei Vollmond kommt, das Opfer aber umso qualvoller ertränkt. Wer denkt sich solche Untaten bloß aus? Skandinavische Krimi-Autoren! Tausendfach ersinnen sie bizarre Blutbäder im Urlaubsidyll, die dann hundertfach verfilmt so sicher im deutschen Fernsehprogramm landen wie die Mitternachtssonne am schwedischen Sommerhimmel. Kommenden Sonntag zeigt das ZDF nach seiner Primetime-Schnulze nun den nächsten Exzess nordischer Herkunft. Er stammt von Cilla und Rolf Björlind, die zuvor bereits »Kommissar Beck« verfasst und aus Arne Dahls drastischen Krimis drastischere TV-Versionen gemacht haben.

Das Autorenpaar ist auf Polizeiarbeit im Bereich menschlicher Abgründe spezialisiert. Und das hat Folgen, gravierende sogar. Nur leider sind es nicht mehr zwingend unterhaltsame wie zu jener Zeit, als Mankells Wallander noch brandneu war und Skandinavien die Krimizone der Stunde. Womit wir bei »Springflut« wären. Unter dem Titel beginnt die junge Polizeischülerin Olivia Rönning - gespielt von der eigenwillig schönen Julia Ragnarsson - den Fall der Wasserleiche neu aufzurollen. Schließlich war schon ihr Vater 1991 damit befasst, bevor er dabei ums Leben kam und seine Tochter unfreiwillig auf dieselbe Berufslaufbahn schickte.

Blut ist halt besonders, da dicker als Wasser, wo es derart in Strömen fließt wie an den lieblichen Küsten vom Nordmeer bis zur Ostsee. Und genau hier gerät nun Olivia in ein fünfteiliges Geflecht aus Politik, Wirtschaft und Gier, Hass, Heimat und Globalisierung. Skrupellose Unternehmen und geltungssüchtige Skinheads spielen ebenso tragende Nebenrollen wie falsche Ermittler und misshandelte Penner. Jede der 450 Minuten ist wolkenverhangen, alles bedeutsam, niemand frei von Schuld. Bis auf Olivia natürlich, die nur dem Obdachlosen Tom Stilton (Kjell Bergqvist) vertrauen kann, ein Ex-Polizist, der einst im »Cold Case« ermittelt hatte.

Wer nach Alleinstellungsmerkmalen sucht, findet sie fraglos beim ungleichen Duo im Provinznest Nordkoster. Die Dramaturgie allerdings mag vor Wendungen und Twists noch so strotzen. Spätestens nach einer Stunde stellt sich erstmals das drängende Gefühl ein, all die Extreme der Normgesellschaft in ähnlicher Form schon mal irgendwo anders gesehen zu haben. Bei der Kopenhagener Streifenpolizistin Anna Pihl zum Beispiel, der Göteborger Kommissarin Irene Huss oder dem »schwedänischen« Doppel Norén/Rohde (»Die Brücke«). Dazu unter hauptberuflichen Cops von Sarah Lund bis Maria Wern ebenso wie unter nebenamtlichen wie dem norwegischen »Wolf« Varg Veum; von Journalistinnen auf Abwegen wie Annika Bengtzon ganz zu schweigen.

Es gibt zwar besonders aus Skandinavien Ausnahmen, die durch Atmosphäre, Charakterzeichnung oder Spannungsbögen himmelweit aus dem kriminalistischen Allerlei am Bildschirm herausragen. Hinreißend komische und zugleich wahrhaftige Figuren wie der Mafioso Frank Tagliano im norwegischen Exil »Lilyhammer« wären aus deutscher Produktion genauso unmöglich wie der Finanzthriller »Mammon« an gleicher Stelle. »Springflut« zeigt jedoch trotz des soliden Drehbuchs, dass die Thematik alltäglicher Exzesse im bürgerlichen Umfeld langsam auserzählt ist. Aber vielleicht würde es schon helfen, wenn man sich mit der Synchronisation etwas mehr Mühe gibt oder das ZDF doch besser nicht als Koproduzent auftritt.

ZDF, fünf Folgen ab 12. November, jeweils sonntags; alle Folgen online ab 10. November verfügbar.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.