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Streit an Streit
Vor dem Parteitag der SPD am Samstag beharken sich die Lager öffentlich mit Briefen
«Wann wir schreiten Seit’ an Seit’» heißt das traditionelle Schlusslied auf Parteitagen der SPD. Auch bei der Versammlung der Berliner Sozialdemokraten am kommenden Samstag im Hotel Intercontinental wird das Kampflied aus der Arbeiterbewegung sicherlich beim «Singen mit den Vorwärts-Liederfreunden» am Ende erklingen. Nur: Mit einer Wanderfahrt und dem Herausstellen des Gemeinsamen, das in dem Lied hervorgehoben wird, haben es die Berliner Sozialdemokraten derzeit nicht so. Statt «Seit’ an Seit’» könnte man eher sagen «Streit an Streit».
Denn kurz vor der Parteiversammlung kursiert erneut ein Brief unter den sozialdemokratischen Parteifreunden und in der Öffentlichkeit. Nachdem sich bereits vor Kurzem zwei SPD-Abgeordnete in einem öffentlichen Statement den Regierenden Bürgermeister Michael Müller (SPD) unter anderem wegen des miesen Abschneidens der Sozialdemokraten mit 17,9 Prozent bei der Bundestagswahl («nd» berichtete«) vorgenommen hatten, traf es diesmal dessen innerparteilichen Konkurrenten, den Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh.
Das neue Schreiben, das 14 von 38 Parlamentarier der SPD im Abgeordnetenhaus unterschrieben haben, darunter sogar drei Stellvertreter des Fraktionschefs, hat es in sich. In dem Brief werden unter anderem die Kompetenzen und die Führungsstärke des Fraktionsvorsitzenden infrage gestellt. Zwar wird an keiner Stelle des fünfseitigen Schriftstücks, das »nd« vorliegt, ein Rücktritt Salehs gefordert, der im Jahr 2014 selber gerne Regierender Bürgermeister als Nachfolger von Klaus Wowereit geworden wäre. Bei einer Basisbefragung landete er seinerzeit indes abgeschlagenen hinter dem damaligen Landesvorsitzenden Jan Stöß und dem Gewinner Michael Müller. Das Ausmaß der Kritik an der Arbeit des Fraktionschefs ist mehr als bemerkenswert. Auffällig ist vor allem auch, dass einige Abgeordnete unterzeichnet haben, die bislang in den innerparteilichen Auseinandersetzungen von Beobachtern zum Saleh-Lager gezählt wurden.
»Gemeinsinn, Zusammenhalt und Solidarität fehlen mittlerweile in der Fraktion selbst an den Punkten, bei denen wir uns in der Sache einig sind und im Grunde gar keine Interessenkonflikte bestehen«, heißt es in dem Brief, der mit der Anrede »Lieber Raed« beginnt. Das fühle sich für viele so an, schreiben die Unterzeichner weiter, als wären wir eine Ansammlung von Einzelkämpferinnen und -kämpfern, die punktuell zusammenarbeiten. »So können und werden wir nicht erfolgreich sein.« Neben einer allgemeinen Führungskritik werden weitere Probleme benannt. Dazu zählen unter anderem eine Kritik an den Namensbeiträgen, die Saleh regelmäßig in Tageszeitungen veröffentlicht und sein Buch zur deutschen Leitkultur, das er im Sommer bei Lesereisen beworben hatte, während - zugespitzt gesagt - , in Berlin der Tegel-Volksentscheid und der Bundestagswahlkampf tobten. Auch seinen Repräsentationspflichten komme der Fraktionsvorsitzende nicht genügend nach, bemängeln die Unterzeichner anhand zahlreicher Beispiele. Zudem wird die Pressearbeit der Fraktion kritisiert. Saleh selbst reagierte auf den Frontalangriff mit einem Gesprächsangebot an seine Kritiker. »Ich empfinde das jetzt nicht als Majestätsbeleidigung und schmoll’ auch nicht in meiner Ecke«, sagte er.
Dass die Vorwürfe aus der Fraktion lediglich intern bei der Fraktionssitzung behandelt werden, ist allerdings unwahrscheinlich. Die innerparteilichen Konflikte dürften vielmehr auf dem Landesparteitag am Samstag voll ausbrechen. Unter Punkt 4 des Parteitagsablaufs ist eine »Aussprache« anberaumt, in der der Zustand der Partei das beherrschende Thema sein dürfte. Zuvor ist zudem eine 20-minütige Eröffnungsrede des Regierenden Bürgermeisters und Landesvorsitzenden Michael Müller geplant, in der die Querelen auch nicht zu umschiffen sein dürften.
Welche Auswirkungen der Dauerzoff bei den Berliner Sozialdemokraten auf den rot-rot-grünen Senat hat, bleibt abzuwarten. Doch auf lange Sicht zahlt sich Streit niemals aus. Nicht nur der SPD, sondern der gesamten Mitte-links-Koalition könnten harte Zeiten bevorstehen.
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