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Universitäre Kellerkinder
Für Studierende auf Wohnungssuche spitzt sich die Situation
So oder so ähnlich beginnen die Tage in Raphaels ersten Wochen an der Universität. Er ist 18 Jahre alt und weit weg von seinem Heimatdorf in Hessen und noch weiter von seinem letzten Wohnort: Vier Jahre lang hat er in Mexiko gelebt und dort auch das deutsche Abitur gemacht. Sein Medizinstudium hat ihn in die Rheinmetropole Düsseldorf gezogen. Erst zweieinhalb Wochen vor Beginn des Wintersemesters hat er seine Zulassung bekommen. Hektische Wohnungssuche folgte auf dem Fuß, denn Düsseldorf war nur seine vierte Hochschulwahl.
Internetportale, in denen Zimmer in Wohngemeinschaften angeboten wurden, siebten aufgrund der hohen BewerberInnenzahl durch ihr Anforderungsprofil schon fleißig aus. Alter: 22 bis 25 Jahre, weiblich, WG-Erfahrung. Raphael ist 18, ein junger Mann und hat bisher bei seinen Eltern gelebt. Insgesamt 30 bis 40 AnbieterInnen schreibt er an, gerade einmal fünf Rückmeldungen bekommt er, zu drei Besichtigungsterminen wird er eingeladen. Doch die Wohnungen sind klein - und teuer. Auch wenn er bei der Finanzierung von seinen Eltern unterstützt wird, sind die hohen Mieten keine Lösung auf Dauer. Beim Studierendenwerk bewirbt sich Raphael auf einen Wohnheimplatz - und sicherheitshalber schon mal auf eine Notfallschlafstelle. Da landet er schließlich. In einem Schlafsaal im Keller eines Wohnheims. Mit bis zu acht anderen Unglücklichen muss er sich diesen teilen. Um zehn Uhr geht im Schlafsaal in der Regel das Licht aus, nur Smartphones und Laptops schimmern noch in der Dunkelheit. »Kellerkinder«, wird eine Sachbearbeiterin die Erstsemester ohne Wohnung später einmal nennen.
Von den stressigen ersten Wochen seines neuen Lebensabschnitts hat sich Raphael nicht entmutigen lassen, und einige Wochen nach Beginn des Semesters hat er nun eine dauerhafte Bleibe gefunden. Er hat Glück gehabt. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass in einer Wohnheimanlage doch noch ein Platz frei geworden ist - der letzte. »Es sind die kleinen Dinge«, sagt Raphael, der jetzt in einem 16-Quadratmeter-Zimmer lebt, inklusive Bad, Küchenzeile, Schreibtisch und Bett. Kein Luxus, doch er hat Raum für sich alleine. »Ich genieße es, morgens erstmal das Licht anzumachen und noch liegen zu bleiben. Mich nicht direkt aus dem Zimmer schleichen zu müssen.« Außerdem freut er sich darüber, einfach mal die Tür hinter sich schließen zu können und einen eigenen Schreibtisch zum Lernen zu haben, an dem es ruhig ist. »In dem Gemeinschaftsraum im Wohnheimkeller übte mal jemand Gitarre, dauernd kamen Leute rein und gingen raus«, beschreibt er die früheren Störfaktoren.
Raphael beschwert sich nicht über diese Zeit, in der er nie die Hoffnung verloren hat, doch noch eine Unterkunft auf Dauer zu finden. Vielmehr blickt er auf eine positive Erfahrung zurück: Er konnte KommilitonInnen kennen lernen - das macht den Einstieg in einer neuen Stadt leichter. Und das Erwachsenwerden.
So sieht es auch Emmanuella, die ebenfalls mit 18 Jahren zum Medizinstudium nach Düsseldorf kam. Auch sie hat einen weiten Weg hinter sich. Geboren und aufgewachsen ist sie in Kairo, wo sie eine deutsche Schule besucht hat. Sie konnte keinen Platz in der Notfallschlafstelle ergattern. Auch sie hat sehr kurzfristig ihre Zusage nach Kairo geschickt bekommen. Zehn Tage später war sie schon mit dem Flugzeug nach Frankfurt und von dort mit dem Fernbus nach Düsseldorf gereist. Über 3000 Kilometer Luftlinie von ihrer Heimatstadt, Familie und FreundInnen entfernt, stand sie also in der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt und musste zunächst in einem Hotel unterkommen.
Neben dem zeitaufwendigen Medizinstudium und der nervenaufreibenden Wohnungssuche standen für sie auch noch anstrengende Gänge zur Ausländerbehörde und damit die schwer zu fassende deutsche Bürokratie auf dem Programm. »Das ist stressig«, sagt sie, gerade von einem solchen Behördentermin kommend. »Drei Stunden habe ich gewartet, um dann einen Termin im Februar zu kriegen«, ist sie - nett formuliert - überrascht über die bürokratischen Hürden. Sie nimmt die Situation mit Humor. Auch wenn sie zugibt, dass der Gedanke ans Aufgeben immer zumindest im Hinterkopf ist. »Ich versuche dann einfach wieder positiv zu werden«, sagt Emmanuella. Zwangsläufig muss sie in dieser Situation schneller erwachsen werden. Bereut hat sie den Schritt in ein anderes Land und eine fremde Stadt deshalb nicht. »Behördengänge, Wohnungssuche: Das hätte ich nicht alleine gemacht, wenn ich zu Hause geblieben wäre.«
Mittlerweile ist auch Emmanuella in einer eigenen Wohnung untergekommen. Allerdings nur auf dem privaten - und deutlich kostspieligeren - Wohnungsmarkt, und auch nur auf absehbare Zeit. Zum neuen Jahr wird sie sich wohl eine neue Wohnung suchen müssen, das haben die VermieterInnen bereits angekündigt.
Trotz ihrer unglücklichen Situation ist Emmanuella noch recht privilegiert. Ihre Eltern haben die Mittel, um sie finanziell zu unterstützen, auch für Wohnraum in deutlich teureren Unterkünften, als es etwa die 250-Euro-Wohnpauschale des BAföG erlauben würde. Und dennoch ist es kaum möglich, in Universitätsnähe eine passende Wohnung zu finden. Außerhalb zu leben, etwa in den nahe gelegenen Ruhrgebietsstädten Duisburg und Essen, kommt für sie nicht infrage. »Ich bin meistens von morgens bis 20, 21 Uhr in der Uni. Wenn ich dann noch eine Stunde nach Hause fahren muss ... Ich weiß nicht, wo ich da dann noch die Zeit und Energie zum Lernen hernehmen soll«, sagt die junge Frau. Und natürlich bleibt dabei auch das soziale Leben auf der Strecke. Stadt und Menschen kennenzulernen ist ebenso zentral, wie das Studium.
Raphael und Emmanuella stehen beispielhaft für zahllose Studierende, die bei der Wohnungssuche massivem Stress ausgesetzt sind und teilweise immer noch keine feste Bleibe haben. Tausende junge Menschen stehen bundesweit auf den Wartelisten der Studierendenwerke, in deren Wohnheimen die Mieten noch bezahlbar sind. Dabei haben die beiden Medizinstudierenden noch Glück im Unglück gehabt. Gerade Studierende aus ArbeiterInnenfamilien werden schon zu Beginn ihrer Selbstständigkeit in die städtische Peripherie gedrängt, können sich mit Nebenjobs nur gerade so über Wasser halten. Auf der Strecke bleiben das Studium und die kulturelle und soziale Teilhabe.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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