Samstag ohne Fahrschein

Hessen: Gießen erwägt die Einführung eines kostenfreien ÖPNV-Tages pro Woche

  • Hans-Gerd Öfinger
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist ein kleiner Schritt auf dem langen Weg zur kostenlosen Teilnahme am Öffentlichen Personennahverkehrs, den die Kommunalpolitiker im mittelhessischen Gießen ins Auge fassen. So beschloss der örtliche Bauausschuss der 85 000-Einwohner-Stadt dieser Tage einstimmig einen von der Linksfraktion eingebrachten Antrag. »Der Magistrat wird beauftragt, zu ermitteln, welche Kosten damit verbunden wären, wenn zum Beispiel an Samstagen die Nutzung aller Buslinien im Stadtverkehr ohne Fahrschein möglich sein soll«, so der Wortlaut. Darüber hinaus wollen die Ausschussmitglieder prüfen lassen, »welche Kosten mit der Einführung eines Jobtickets für alle Beschäftigten der Stadt Gießen verbunden wären«.

Die Idee eines Jobtickets lehnt sich an an einen im Frühjahr 2017 vereinbarten Tarifabschluss für die Beschäftigten in hessischen Behörden und landeseigenen Betrieben. Damals hatten die schwarz-grüne Landesregierung und die Gewerkschaften des Öffentlichen Dienstes überraschend eine hessenweit freie Nutzung aller öffentlichen Nahverkehrsmittel für Landesbedienstete vereinbart. Diese Regelung soll im Januar 2018 in Kraft treten. Davon ausgeschlossen sind allerdings Beschäftigte der hessischen Kommunen und kommunalen Betriebe.

Die Stadt Gießen, so erklärte der Gießener Linksfraktionschef Matthias Riedl gegenüber »nd«, solle sich an dem Tarifabschluss für das Land orientieren und das Umsteigen vom Pkw auf Busse und Bahnen gezielt fördern. Das Jobticket sei hierfür »ein weiterer Baustein unter vielen«, so seine Überzeugung. Im Hinblick auf die Klimaschutzziele des Bundes könnten attraktive Alternativen wie ein kostenloses Busfahren an Samstagen dazu beitragen, dass viele Menschen ihre Autos stehen ließen. Damit könne zudem Gießen als »Einkaufs- und Übernachtungsstadt« der Region Mittelhessen gestärkt werden, so seine Überzeugung.

Der vom Bauausschuss vorgeschlagene Prüfauftrag stand am Donnerstagabend auf der Agenda der Stadtverordnetenversammlung. Während interessierte Gießener nun gespannt auf das Ergebnis der Prüfungen warten, ist man in anderen Städten bei der Erprobung und Realisierung des samstäglichen Nulltarifs schon ein Stück weiter. So war die Benutzung der lokalen Busse im oberbayerischen Rosenheim bereits an den Adventssamstagen des Jahres 2016 jeweils von 7.30 Uhr bis 2.30 Uhr des Folgetags kostenlos. Der Zuspruch war groß und brachte neue Rekordzahlen an Fahrgästen.

Ähnliche Erfahrungen machte man auch in Ulm und Neu-Ulm. Im oberschwäbischen Ravensburg wurde das Einzelticket für lokale Busse an Samstagen von 2,10 Euro auf einen Euro verbilligt. Erwachsene können hier ohne Aufpreis in Begleitung von drei Kindern bis zum Alter von 14 Jahren die Busse benutzen. Auch wenn in Ravensburg der Ausgleich für eine wegen Umbaus geschlossene innerstädtische Tiefgarage zu den Auslösern gehörte, zeigen die steil nach oben gehenden Fahrgastzahlen an Samstagen, dass niedrigere Fahrpreise durchaus mehr Zulauf bringen können. Im hessischen Bad Homburg war schon 2014 die kostenlose Nutzung der Stadtbusse an den Adventssamstagen eingeführt worden.

In Luxemburg, der Hauptstadt des gleichnamigen Großherzogtums, wurde schon im Jahr 2015 die fahrscheinlose Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel an allen Samstagen und an jedem ersten Sonntag im Monat beschlossen. Damit sollen gezielt Touristen und Kunden für den Einzelhandel angelockt und das Stadtzentrum grundsätzlich attraktiver gemacht werden. Die Maßnahmen sind bis Ende dieses Jahres befristet und sollen dann ausgewertet werden.

Dass über solche zaghaften Ansätze hinaus ein genereller Nulltarif im öffentlichen Verkehr möglich und attraktiv ist, zeigt übrigens seit Jahrzehnten die nördlich von Paris gelegene französische Stadt Compiègne.

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