Kopf ab!

  • Lesedauer: 3 Min.

In Neukölln stehe ich mit einer Maklerin im Hauseingang eines »Objekts« - so nennt es die Maklerin -, in dem ich mir gerade eine Wohnung angesehen habe: Diese befindet sich in einem wenig imposanten Fünfzigerjahrebau, kein Stuck, kein Parkett, kein Balkon, funktional, quadratisch, praktisch, gut, eher Hütte als Palast, eher Plattenbau als Grunewaldvilla. Die Wohnung kostet heute schätzungsweise das Doppelte von dem, was sie vor fünf Jahren gekostet hat. Wir reden über die soeben stattgefundene Wohnungsbesichtigung. Was man halt so redet.

Sie: »Es ist ein hochwertiges Objekt, inmitten eines hippen Szenekiezes.« Ich: »Hm.«

Im Lauf unserer Unterhaltung wird sehr rasch klar: Hier sprechen zwei Menschen aus unterschiedlichen Universen miteinander, der Literaturwissenschaftler und die Immobilienmafiaangehörige. W. H. Auden und Margaret Thatcher. Als ich sie ihren auswendiggelernten Reklamequatsch vom hippen Szenekiez daherreden höre, muss ich an den Jazzmusiker Cannonball Adderley denken, der einst die wunderschönen Sätze sagte: »Hipness is not a state of mind, it’s a fact of life. You don’t decide you’re hip. It just happens that way.« Ich denke, die Maklerin würde diese Sätze niemals begreifen. In einem Maklerkopf verlieren alle Wörter ihre tatsächliche Bedeutung und gewinnen eine neue: Eine Wohnung ist in ihrem Universum nichts anderes als ein »Renditeobjekt«, und der Begriff »hip« ist für sie nur ein derzeit modisches Quatschsynonym für »bei jungen Menschen beliebt«. Sie weiß nichts, sie versteht nichts. Sie verkauft und vermietet Immobilien. Bestandsaufwertung, Vertragsabschlüsse, Kontobewegungen, schwarze Zahlen. Das ist alles. Sonst ist Funkstille in ihrem Kopf.

Dann kommt ein älterer Mann aus dem Haus bzw. aus dem Objekt. Er dreht sich im Vorbeigehen um zu der Maklerin, die er offenbar schon öfter im Objekt hat herumstrolchen sehen und die er als Immobilienmafiamitglied identifiziert hat. Der Mann, erkennbar gereizt, spricht mit stark osteuropäischem Akzent, manche seiner Sätze sind nicht zu verstehen: »Daszz szzind die auszzländische Aaszzgeierrrfirrrmen! Kaufen Hauszz, trrreiben Mieterrr hinauszz! Wollen Halszz nicht voll genugg! Schweine!« Die Maklerin wendet sich dem empörten Mann zu und spricht mit ihm wie mit einem begriffsstutzigen Kleinkind: »Beruhigen Sie sich bitte, wir verwerten die Wohnungen ja erst, wenn wir die Altmieter draußen haben.« Der Mann wütet weiter, steigert sich in Fantasien darüber, was er alles gern mit den »auszzländischen« Maklern machen würde, hinein: »Auszzländische Pack! Alle eingrrraben und dann Kopf ab!« Schließlich mische auch ich mich ein und mache den Mann darauf aufmerksam, dass er zwar das Wesen des Immobiliengeschäfts durchaus treffend beschreibe, dass ich aber an seiner extensiven Beschäftigung mit der Rassenfrage Anstoß nähme: »Sie möchten, so entnehme ich Ihren Äußerungen, lieber von original blutsdeutschen Immobilienfirmen verkauft und auf die Straße gesetzt werden, verstehe ich Sie richtig?« Darauf er wieder: »Ja! Besszzer als Ausländerrr!« Ja, so sind sie, die Osteuropäer.

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