Kampf der Poeten
Berlin und Brandenburg suchen den gemeinsamen Poetry-Slam-Meister
Das Phänomen Poetry Slam gehört zu den auffälligsten Trends der gegenwärtigen Literaturszene. Der Dichterwettstreit hat seit seinen Anfängen im Chicago der 1980er Jahre einen weltweiten Siegeszug angetreten. Zunächst als Teil einer Subkultur, die sich gegen die Vermittlungsformen der Bildungseliten wandte und eine Demokratisierung und Öffnung der Literatur anstrebte. Inzwischen ist dieser literarische Flirt mit dem Publikum auf Zeit fester Bestandteil des kulturellen Unterhaltungsangebots, die Slams salonfähig und echte Publikumsmagnete. Längst schielen Publikumsverlage nicht nur mit einem Auge auf das Geschehen in der Bühnenliteraturszene.
Damit einher gehen Normierungen, wie sie aus jeder Popularisierung der Kunst resultieren. Im Falle des Slams betrifft dies die Themenwahl und Vortragsart, die sich nicht selten an den Vorlieben der Kernzielgruppe orientieren. Diese Entwicklung mag der Kulturpessimist und mancher Pionier der Kunstform bedauern. Teil der Wahrheit ist aber, dass die Beliebtheit der Poetenwettbewerbe aus den Vorzügen des Formats überaus verständlich ist.
Über Sieg und Niederlage in der sportiven Variante der Lesung entscheidet nicht der geschriebene Text, sondern der fünfminütige Vortrag, die Chemie zwischen Publikum und Künstler, der besondere Augenblick. Wenn sich »Publikum, Text und der Vortragende gegenseitig hochschaukeln«, erklärt Bühnenpoet Noah Klaus, »entsteht ein ekstatisches Hochgefühl«. Das Publikum entscheidet durch Punktvergabe, in welchem Maß die Künstler zu überzeugen wussten.
Das literarische Genre des Vortrags unterliegt einer prinzipiellen Offenheit: Von der Kurzgeschichte über kabarettistische oder Stand-up-Texte, Reflexionen, Anekdotisches, Lyrik bis hin zu Textcollagen - dem Spektrum sind keine Grenzen gesetzt. Das demokratische Element und die Schnelllebigkeit der Slams versprechen dem Publikum überraschende Erlebnisse und Erkenntnisse. Und der Wettbewerbscharakter - Es kann nur einen geben! - ist schon für sich selbst betrachtet eine dramatische Konstellation, ein archaisches Kunstmotiv, eine Story.
Berlin gilt auch in der Slam-Szene als Hauptstadt. Neben Hamburg hat keine andere deutsche Stadt eine solche Strahlkraft in Sachen Bühnenliteratur. Die Slams sprießen aus dem Boden, und die Besucherzahlen steigen von Jahr zu Jahr. Allein in Berlin und Brandenburg besuchen jedes Jahr mehr als 30 000 Besucher die mehr als 200 Poetry Slams. Höhepunkt des Jahres bleibt die gemeinsame Landesmeisterschaft. Im letzten Jahr wurde das Finale der Ausscheidungskämpfe erstmals im Konzertsaal der UdK ausgetragen, nachdem erst das Berliner Ensemble und anschließend das ehemalige Lichtspielhaus Kosmos dem Besucheransturm nicht mehr gewachsen waren. Auch in diesem Jahr tragen die Sprachvirtuosen ihre literarischen Kompositionen in jenem Tempel der Hochkultur vor.
Am 25. November werden von den ursprünglich 24 Startern acht verbliebene Künstler um die Krone des Landesmeisters ringen, ein Titel, der gleichbedeutend mit der Qualifikation für die Deutschsprachigen Meisterschaften im kommenden Jahr ist. Die Finalisten werden in zwei Halbfinals am 23. und 24. November ermittelt. Die erste Vorschlussrunde wird im Kreuzberger SO36 ausgetragen, am Tag darauf wird den Poeten die Bühne im Potsdamer Waschhaus bereitet. An den drei Veranstaltungsabenden kämpfen die Dichter um die Gunst von insgesamt über 2000 Zuschauern.
Profisport ist der Poetry Slam dennoch nicht geworden. In Deutschland gibt es laut Schätzung von Volker Surmann, Mitglied des Organisationsteams BB Slam e.V. und als Verleger dem Thema verbunden, etwa fünfzehn bis zwanzig Künstler, die sehr gut von Gagen und Buchverkäufen leben können, dazu etwa 150 bis 200 semiprofessionelle Bühnenliteraten. Gradmesser für den Erfolg des Formats bleiben also vorerst die Besucherzahlen. Und diese sprechen für sich: Die deutschsprachige Slam-Szene gilt als zweitgrößte der Welt - nach der englischsprachigen.
Als Titelverteidiger geht der Neuköllner Dichter und Kabarettist Karsten Lampe ins Rennen, dessen Geschichten und Betrachtungen auch im Buchhandel zu haben sind. Mit dem jungen und mitunter sehr politischen Dichter Noah Klaus steht ein weiterer ehemaliger Titelträger im Feld. Paul Bokowski dürfte der Starter sein, der sich als Buchautor die größten Meriten verdient hat. Doch aus diesen Verdiensten Favoritenrollen ableiten zu wollen, erschiene allzu kühn. Denn was einst beim Fußball galt, gilt für den Slam allemal: Die Zuschauer gehen hin, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.
Vom 23. bis zum 25. November im SO36, im Waschhaus Potsdam und im Konzertsaal der UdK, www.bbslam.de
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