Auf Flucht am Hindukusch

USA mit neuer Strategie

  • Olaf Standke
  • Lesedauer: 3 Min.

Seit Jahresbeginn sind in Afghanistan fast 350 000 Menschen vor den Kämpfen zwischen den radikalislamischen Taliban und den Sicherheitskräften der Kabuler Regierung aus ihren Heimatorten geflohen. Das geht aus einem am Dienstag veröffentlichten Report der UN-Agentur zur Koordinierung humanitärer Hilfe (OCHA) hervor. So würden inzwischen im früher als eher ruhig geltenden Norden des Landes, wo die Bundeswehr noch immer ein großes Feldlager hat, ein Drittel aller Kriegsvertriebenen registriert. Der Bericht erfasste in der schwer umkämpften Provinz Kundus allein in der Vorwoche fast 16 000 Binnenflüchtlinge.

Auch die Wirtschaft am Hindukusch leidet unter dem sich ausweitenden neuen Krieg mit den Taliban, wie aus einem am Dienstagmorgen in der Hauptstadt Kabul veröffentlichten Report der Weltbank hervorgeht. Afghanistan ist eines der ärmsten Länder und braucht massive Hilfe. Bis Jahresende dürfte seine Wirtschaft zwar um etwa 2,6 Prozent wachsen, was »eine bescheidene Verbesserung im Vergleich zu 2014 und 2015« bedeute. Doch liege der Wert deutlich unter dem durchschnittlichen jährlichen Wachstum von 9,6 Prozent in den Jahren zwischen 2003 und 2012. Nach dem offiziellen Ende des NATO-Kampfeinsatzes vor drei Jahren waren die Zahlen dramatisch eingebrochen, was nach Einschätzung der Weltbank vor allem an der »politischen Ungewissheit und schlechten Sicherheitslage«, aber auch an der geschrumpften Entwicklungshilfe gelegen habe. Sie sei von jährlich durchschnittlich 12,5 Milliarden Dollar zwischen 2009 und 2012 auf 8,8 Milliarden Dollar im Jahr 2015 gesunken.

Zur Zuspitzung der Lage für große Teile der Landbevölkerung dürfte auch die veränderte Strategie Washingtons am Hindukusch beitragen. Erstmals haben jetzt Piloten der US-Luftwaffe Bomben auf mehrere Drogenfabriken abgeworfen, wie General John Nicholson bestätigte. Der gemeinsame Einsatz mit afghanischen Einheiten in der südlichen Provinz Helmand habe die finanziellen Ressourcen der Taliban im Visier gehabt, so der Oberbefehlshaber der NATO- und der US-Streitkräfte. Die Region gilt als Zentrum des Schlafmohnanbaus, der Grundlage für 80 bis 90 Prozent der Opiumproduktion weltweit ist. Die Taliban besteuern den Anbau und den Drogenschmuggel, was jährlich 200 bis 400 Millionen Dollar in ihre Kriegskasse spülen soll. Gerade erst hat die UNO die bislang größte Opiumernte in der Geschichte Afghanistans vermeldet. Das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) schätzt sie auf 9000 Tonnen - 87 Prozent mehr als noch 2016 - und spricht von mehreren Ernten in 24 der 34 Provinzen. Die Pflanzen wachsen demnach inzwischen auf rund 328 000 Hektar. Ein Taliban-Sprecher wies Nicholsons Angaben zurück. Es gebe in den Gegenden gar keine Drogenproduktion. Die USA wollten nur verdecken, dass sie Zivilisten angegriffen hätten.

Tatsächlich sprach ein Mitglied des Provinzrats, das namentlich nicht genannt werden wollte, von möglichen zivilen Opfern bei den Angriffen, seien doch die meisten Arbeiter in solchen Fabriken Zivilisten - die kaum Alternativen haben, um ihre Familien zu ernähren. Nicholson sieht eine Ausweitung des von Regierungstruppen kontrollierten Gebiets auf 80 Prozent als zwingend für einen Erfolg im Kampf gegen die Taliban an. Allerdings kontrollieren oder beeinflussen Kabuls von der NATO trainierten Einheiten laut einem US-Bericht von Ende Oktober nur knapp 57 Prozent des Landes. Mit Agenturen

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