Schwarze und weiße Magie

Sten Nadolny verhandelt hundert Jahre deutscher Geschichte im Kinderbuchton

  • Fokke Joel
  • Lesedauer: 3 Min.

Sten Nadolnys neues Buch ist ein Briefroman. Zwölf Briefe, die der Zauberer Pahroc an seine Enkelin Mathilda geschrieben hat. Der bereits über hundert Jahre alte Mann hat bei seiner Enkelin ein Talent zum Zaubern entdeckt und will seine Lebenserfahrungen an sie weitergeben. Weil Mathilda noch zu jung ist, hat Pahroc seine zweite Frau als Nachlassverwalterin eingesetzt. Sie soll dafür sorgen, dass die Enkelin die Briefe an ihrem 18. Geburtstag bekommt.

Da Pahroc im Mai 2017 im Alter von 111 Jahren stirbt, umfasst seine Lebensgeschichte fast das gesamte 20. Jahrhundert. Der erste Brief von 2012 beginnt mit Erinnerungen an seine Kindheit in Berlin-Pankow während des Ersten Weltkriegs. Schlosseck, ein Zaubermeister und Nachbar der Familie, entdeckt bereits bei dem Kleinkind das Talent zum Zaubern und nimmt Pahroc als Schüler auf. Ein Nachbarjunge in Pahrocs Alter, Schneidebein, hat ebenfalls das Zaubern im Blut. Schnell wird er zum Widersacher Pahrocs, dient sich später den Nazis an und wird zum Mörder. Denn, so erfährt der Leser, die Zauberei kann zu guten wie zu bösen Zwecken betrieben werden. Pahroc ist auf der Seite der Guten.

In den 1930er Jahren verliebt er sich in Emma und heiratet sie. Es kommen vier Kinder zur Welt, aber die Nazizeit stellt den Zauberer auf eine harte Probe. Schlosseck, sein ehemaliger Lehrer, ist Jude und wird von Schneidebein ermordet. Auch Pahroc steht auf der Abschussliste des Bösewichts, kann ihm aber entkommen. Aufgrund seiner Zauberkräfte überlebt er als Soldat Stalingrad, und auch Emma übersteht den Krieg unbeschadet. Sie stirbt allerdings früh - 1955 - was Pahroc in eine tiefe Krise stürzt.

Bereits im ersten Brief an Mathilda wird deutlich, dass das »Zaubern« in diesem Buch im übertragenen Sinn zu verstehen ist. Es berührt etwas Essenzielles im Leben. Vor allem deshalb will Pahroc seine Erfahrungen an seine Enkelin weitergeben. Beispielsweise hat Zaubern zwei Seiten. So schreibt er Mathilda, dass ihm durch den »Erotikzauber« die Frauenherzen eine Zeit lang nur so zugeflogen seien. Aber, schreibt er weiter, »um meinetwillen wurden Tränen vergossen, und es tat mir später leid. Es gibt im Übrigen Linderungszauber für Trennungen, die sollte man am besten gleich mitlernen.«

Oft aber ist der übertragene Sinn des Zauberns für den Leser nur schwer zu verstehen, zum Beispiel, wenn Pahroc durch die Luft fliegt, sich in andere Personen verwandelt oder sich das neue Nachkriegsgeld herbeizaubert. »Zauberer haben es nicht leicht, wenn man es ihnen schwer macht«, lautet das Zitat des Schriftstellers Kurt Kusenberg, das Nadolny seinem Roman als Motto vorangestellt hat. Der Leser soll es also dem Zauberer Pahroc leicht machen, indem er an das Zaubern glaubt. Oft jedoch fällt das schwer, zum Beispiel bei der Rettung Pahrocs aus dem Kessel von Stalingrad - durch seine Fähigkeit zu fliegen.

Immer wieder meint man beim Lesen, das »Das Glück des Zauberers« sei eigentlich ein Kinderbuch. Auch der onkelhafte Ton, in dem die Briefe abgefasst sind, passt dazu. Vielleicht würden Pahrocs Zauberkünste bei einem Kind funktionieren, das weiß, dass es den Weihnachtsmann nicht gibt, aber der schönen Gefühle wegen an ihn glauben will. Das würde es dem Zauberer respektive dem Autor damit im Kusenbergschen Sinn leichter machen. Doch die Themen wiederum, die Pahroc in seinem Lebensbericht anspricht, all die Verwicklungen in die deutsche Geschichte, sind Themen für Erwachsene. Schließlich soll Mathilda die Briefe ja auch erst mit achtzehn lesen.

Ein Erwachsenenbuch also, in einem betulichen Kinderbuchton geschrieben, das nur funktioniert, wenn man sich als Leser viel Mühe gibt und dran glaubt? - Überzeugend ist das nicht.

Sten Nadolny: Das Glück des Zauberers. Roman. Piper, 320 S., geb., 22 €.

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