»Die Ohnmacht war der Motor«

Regisseur Fatih Akin spricht über seinen neuen Film »Aus dem Nichts«, über Heldinnen und den NSU

  • Lesedauer: 5 Min.

Sie widmen Ihren Film den Opfern des NSU. War die Enttäuschung über die Ermittlungspannen und die jahrelangen Schuldzuweisungen an die Angehörigen durch die deutsche Polizei der Antrieb, den Film zu drehen?

Mein Motor beim Schreiben waren schon die Ohnmacht und die Wut über die Polizei, die die Täter im Umkreis der Opfer suchte und auf dem rechten Auge blind war. Die Ermittlungen habe ich im Film extrem abgekürzt, nachdem sich die Geschichte herauskristallisiert hatte. Das Innenleben von Katja wurde mir wichtiger als die Pannen und das politische Motiv der Täter. Und das war richtig so.

Fatih Akin

Fatih Akin gab vor mehr als 20 Jahren mit dem Thriller »Kurz und Schmerzlos« sein Debüt, für »Gegen die Wand« erhielt er den Goldenen Bären der Berlinale. Das Drama machte den Hamburger mit türkischen Wurzeln international bekannt.

In Cannes stellte er in diesem Jahr das Drama »Aus dem Nichts vor«, in dem sich das Leben der Hamburgerin Katja von einem Moment auf den anderen ändert. Ihr kurdischstämmiger Mann und ihr Sohn werden bei einem Attentat getötet, Katja hat eine der Täterinnen gesehen und identifiziert. »Aus dem Nichts« geht für Deutschland ins Oscar-Rennen. Mit Akin sprach Katharina Dockhorn.

Sie waren selbst beim Prozess gegen Beate Zschäpe und ihre Mitangeklagten in München. Was ist davon eingeflossen?

Ich war gemeinsam mit meinem Coautor, dem Filmemacher Hark Bohm, drei Mal in München. Die Verhandlung läuft sehr zäh, für eine Umsetzung ist der Ablauf zu langatmig. Die Angehörigen der NSU-Opfer, die dort als Nebenkläger auftreten, verhalten sich eher passiv - ganz im Gegensatz zu Katja. Daher bauten wir nur einige Details aus den Prozessakten in den Film ein, die in meine Intention passten, eine spannende Geschichte aus der Perspektive einer Frau zu erzählen, die nicht in die Opferrolle schlüpfen will. Katja verbindet mit der Verhandlung die Hoffnung auf Rache, sie hofft auf Erlösung. Der Freispruch der Angeklagten trifft sie ins Mark. Wobei ihre Reaktion auf das Urteil keine Kritik an der deutschen Justiz ist. Im Zweifel muss zu Gunsten der Angeklagten entschieden werden.

Wie viele Alternativen zum Ende hatten Sie im Hinterkopf?

Keine. Ich wollte diesen Rachethriller zu einem Ende führen, das im Kino noch nicht oft zu sehen war. Diesem finalen Moment habe ich alles untergeordnet, er wurde beim Schreiben und beim Dreh zu unserem Kompass.

Wie sind Sie an die Zeichnung der Angeklagten ran gegangen?

Sie verhalten sich wie Beate Zschäpe: Sie sitzen emotionslos da und halten den Mund. Ich behandle sie wie alle Filmfiguren mit Respekt, ich verachte sie nicht. Nur zu ihren potenziellen Motiven halte ich mich mit einem Urteil zurück. Äußerlich entsprechen sie nicht dem Klischee von Nazis, ihre Zeichnung bietet viele Anknüpfungspunkte.

Haben Sie lange mit Angehörigen der Opfer gesprochen?

Nein. Ich bin Vater von zwei Kindern, ich kann mir vorstellen, was in den Angehörigen der NSU-Opfer vor sich ging und wie es ihnen noch heute geht. Das Drehbuch basiert auf meinen Erfahrungen.

Dann wäre Katja Ihr Alter Ego, obwohl sie blond, blauäugig und deutsch ist?

Sie ist mir sehr nahe, ähnelt aber in ihrer Herkunft, ihrer Art und ihrem Stil eher meiner Frau Monique. Ich hatte sie stets im Hinterkopf, nachdem ich mich entschieden hatte, meinen männlichen Helden aufzugeben und eine Frau ins Zentrum zu stellen. Bei einer Mutter stellte sich die Frage nach der Motivation nicht, die mir Hark Bohm und meine Produzenten bei einem Mann ständig um die Ohren hauten. Und für mich war eine weibliche Hauptfigur reizvoller, weil ich sie mir erst erarbeiten musste.

Was sprach für Diane Kruger, die zwar in Deutschland geboren wurde, aber erstmals für einen deutschsprachigen Film vor der Kamera stand?

Im Vorfeld jedes Films denke ich intensiv darüber nach, nicht die üblichen Verdächtigen zu besetzen. Diane tauchte vor fünf Jahren in Cannes im Schlepptau von Ewan McGregor auf einer Party auf, wo ich als DJ auflegte. Sie sah sehr schön aus. Als sie am Strand wild abrockte, löste sich das Klischees des unterbelichteten Ex-Models, das ich noch im Kopf hatte, sofort in Luft auf. Ich war ebenso erstaunt, wie gut sie meine Arbeit kannte. Als sie mich um eine Rolle bat, rannte sie offene Türen ein. Sie hatte mich in »Inglorious Basterds« von Tarantino, »Lebe wohl meine Königin« oder »Barfuß auf Nacktschnecken« beeindruckt. Sie hat in diesen Filmen solche Präsenz, sie springt oft förmlich aus der Leinwand. Darauf habe ich spekuliert. Schon beim ersten Casting in Paris habe ich den Hunger und die Lust gespürt, diese neue schauspielerische Seite von sich zu zeigen.

Kruger könnte nun auch eine Oscar-Nominierung erhalten, ebenso ist der Film im Rennen. Wäre dies das Sahnehäubchen?

Diane hätte es verdient, aber die Konkurrenz ist groß. Mein Ziel war ein Film, für den ich mich nicht schämen muss. Das ist schon schwierig genug. Und ich wollte nach Cannes, damit er international Aufmerksamkeit erregt. Aber auch das ist kein Selbstläufer, das ist viel Glück.

Werden Sie den Film nach dem Skandal um »The Cut«, ihrem Film über die Massaker des Osmanischen Reichs an den Armeniern, in der Türkei vorstellen?

Nein, im Interesse meiner Kinder reise ich im Moment nicht in die Türkei. Was mich sehr bedrückt, ich habe dort Familie und viele Freunde. Mein Status als Künstler würde mich aber nicht davor schützen, verhaftet zu werden. Im Gegenteil. Und diesen Triumph möchte ich dem Regime nicht gönnen.

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