• Kultur
  • Bücher zum Verschenken

Ein fünfzehnminütiger, aber mächtiger Staatsfunk

Uli Gellermann und Ko-Autoren haben ausgiebig »Tagesschau« gesehen und beklagen nun das eklatante Versagen der »Vierten Gewalt«

  • Michael Schneider
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn sich nicht nur kritische Publizisten und Medienbeobachter, sondern sogar eine Regierungschefin besorgt über den »Glaubwürdigkeitsverlust der Medien« äußern, dann müssten eigentlich im ganzen Land die Alarmglocken läuten. 60 Prozent der Bürger, erklärte Angela Merkel, hätten laut Umfragen »wenig oder gar kein Vertrauen in die Medien«. Und sie betonte: »Das muss uns alle unruhig stimmen.« - »ARD-aktuell«, der Taktgeberin der deutschen Leitmedien, war diese besorgte Einschätzung der Bundeskanzlerin keine Meldung wert, man ließ sie einfach unter den Tisch fallen.

• Uli Gellermann/Friedhelm Klinkhammer/Volker Bräutigam: Die Macht um Acht. Der Faktor Tagesschau.
PapyRossa, 172 S., br., 13,90 €.

Umso verdienstvoller, dass Uli Gellermann, Journalist, Filmemacher und Herausgeber des kritischen Blogs »Rationalgalerie«, Friedhelm Klinkhammer, langjähriger IG-Medien/ver.di-Vorsitzender und Chef des Personalrats im NDR, und Volker Bräutigam, zehn Jahre Redakteur bei der »Tagesschau« und weitere zehn Jahre in der Kulturredaktion von N3, dem allgemein verbreiteten Argwohn gegenüber der täglichen Berichterstattung der ARD, des größten und einflussreichsten deutschen TV-Nachrichtenprogramms, anhand von minuziösen Recherchen und mit Hilfe vieler »Programmbeschwerden« auf den Grund gegangen sind. Die Bilanz ihrer aufwendigen und detailgenauen Untersuchung: Die Tagesschau-Maschine sei weder verlässlich noch neutral und keinesfalls seriös. Sie sei »fünfzehn Minuten Staatsfunk«.

Das gilt vor allem für jene Nachrichten, die das Herzstück deutscher Politik, das transatlantische Bündnis und die »Bündnistreue«, betreffen. Mit besonderer Sorgfalt haben die Autoren die ARD-Berichterstattung über die derzeitigen Kriegsschauplätze unter die Lupe genommen und dabei das jeweilige »Wording«, die beschönigenden, verharmlosenden oder diffamierenden Sprachregelungen untersucht. Ob im Kampf gegen den »bösen Gaddafi«, gegen die »prorussischen Separatisten in der Ost-Ukraine« oder gegen den »bösen Assad« - die ARD-Moderatoren kennen nur »gute Rebellen«, auch wenn sich hinter diesen nachweislich korrupte Warlords und Söldnerbanden, fanatische Dschihadisten oder - wie beim Maidan - bewaffnete Faschisten verbergen. Der von den USA mit fünf Milliarden Dollar geschürte und gesponserte Putsch gegen den rechtmäßig gewählten ukrainischen Präsidenten Janukowitsch war im Neusprech der ARD ein »demokratischer Regierungswechsel«. Dabei hätte es doch jedem denkenden Menschen einleuchten müssen, wie sehr sich Russland durch die von den USA betriebene Osterweiterung der NATO bedroht fühlen musste. »Der offiziösen Sprachregelung folgend, behandelte sie (die ARD) den Ukraine-Konflikt jedoch als Offensive Rußlands gegen den ›freien Westen‹. Ein dichotomisches Freund-Feind-Schema war geboren, das unabhängig recherchierenden Journalismus bis heute behindert.«

Gleiches gilt für Putins Verbündete wie Syriens Präsident Assad. In seinem »Tageschau«-Blog vom März 2016 stellt der Chef-Redakteur von »ARD-aktuell« die Frage: »Darf man mit Assad reden?« - und beantwortet sie natürlich mit »Nein«, unter anderem weil Assad Giftgas gegen die eigene Bevölkerung eingesetzt habe. Dabei hatte schon zwei Jahre zuvor der angesehene amerikanische Journalist Seymour Hersh, unter Berufung auf Aussagen und Expertisen hochrangiger US-amerikanischer und britischer Geheimdienstler sowie zweier Abgeordneter des türkischen Parlaments, nachgewiesen, dass der Giftgaseinsatz von Ghuta am 21. August 2013 nicht dem Assad-Regime angelastet werden kann, wie es bis heute geschieht.

Bekanntlich ist die Quellenlage für Nachrichtensendungen das A und O eines sauberen Journalismus. In der Berichterstattung über den Syrienkrieg stützt sich die ARD häufig auf die »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« - eine höchst dubiose Quelle, wie eine »Programmbeschwerde« zur »Tagesschau«-Sendung vom 17. Januar 2016 aufzeigt: »Chef und einziger Beschäftigter (dieser Beobachtungsstelle) ist der Brite Osama Suleiman. Er ist ein dreimal vorbestrafter Dunkelmann, der im Jahr 2000 aus Syrien nach England übersiedelte … Suleiman wird mutmaßlich von US-amerikanischen, eventuell auch britischen Geheimdiensten geschmiert. Er behauptet, zuverlässige Informanten in den syrischen Bürgerkriegsgebieten zu haben, die ihn telefonisch über die dortigen Ereignisse unterrichten. Die meisten seiner Hinweise und Behauptungen haben sich jedoch als falsch oder als übertrieben oder als allenfalls bedingt zutreffend erwiesen.«

Wer aus trüben Quellen fischt, Halbwahrheiten für ganze Wahrheiten ausgibt, wichtige, dem eigenen Weltbild widerstrebende Informationen einfach unterschlägt und Meinungen als Nachrichten verkauft, der betreibt statt seriösen Journalismus Propaganda. Und so muss man sich denn auch nicht darüber wundern, dass eine objektive Analyse der wirklichen Kriegs- und Fluchtursachen in den Nachrichtensendungen der ARD so gut wie nicht vorkommt. Mit keinem Wort wird die fatale US-amerikanische Politik des »Regimes Change« im Nahen und Mittleren Osten in Zweifel gezogen, geschweige denn kritisch kommentiert.

In den letzten Jahren, so die Autoren, sei eine zweite Ebene der Meinungsbildung entstanden: »Die Kommentar-Demokratie, bei der die Beiträge der Redaktion analysiert werden … und die der Beginn einer publizistischen Gegenbewegung sein können.« Ob diese Gegenbewegung, auf die die Autoren ihre Hoffnung setzen, wirklich etwas bewirken kann, Sand in die Maschine streut, bleibt abzuwarten.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.