Werbung
  • Kultur
  • Bücher zum Verschenken

Unheilvolle Symbiose

Die Jour Fixe Initiative entlarvt Antikommunismus und Antisemitismus

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 4 Min.

Erst kürzlich hat die rechtskonservative polnische Regierung die Umbenennung zahlreicher Straßen und Plätze beschlossen. Darunter solche, die Namen jüdischer Widerstandskämpfer tragen, die von den Nazis ermordet wurden. Die öffentliche Erinnerung an sie soll ausgelöscht werden, weil sie KommunistInnen waren. Aber nicht nur in Polen gehört der Antikommunismus bis heute zur wirkungsmächtigen Ideologie. Antikommunismus gab es lange vor der Oktoberrevolution von 1917. Und er hat auch das Ende der Sowjetunion überdauert.

• Jour Fixe Initiative (Hg.): Anti!Kommunismus. Struktur einer Ideologie.
Edition Assemblage, 135 S., br., 12,80 €.

Einen soliden theoretischen Einblick in die unterschiedlichen Aspekte der antikommunistischen Ideologie liefert ein von der Jour Fixe Initiative Berlin herausgegebenes Buch. Seit Jahren widmet sich dieser Kreis mit Veranstaltungen und Buchveröffentlichungen der Weiterentwicklung linker Theorie. Diesem Anspruch wird auch das neue Buch gerecht.

Im ersten Aufsatz begründen Elfriede Müller, Margot Kampmann und Krunoslav Stojakovic, wieso das Ende der Sowjetunion und der anderen nominalsozialistischen Staaten eine neue Welle des Antikommunismus ausgelöst hat und überwunden geglaubte totalitarismustheoretische Konzepte wieder aus den Schubläden geholt wurden. Die Autoren und Autorinnen sehen in der neoliberalen Ideologie einen Antikommunismus, der leugnet, dass es eine Gesellschaft gibt. Doch ihr Aufsatz endet optimistisch: »Darum ist es wichtiger denn je, die Idee des Kommunismus mit konkretem Inhalt zu füllen: als Versprechen einer Zukunft, für die es sich zu leben und zu kämpfen lohnt«.

Michael Koltan zeigt auf, dass Liberalismus historisch immer mit Antikommunismus, nicht aber mit Freiheit verknüpft war. Er begründet das mit einem historischen Exkurs, der ins Frankreich des 19. Jahrhunderts führt, wo der liberale Politiker Francois Guizot federführend an der Niederschlagung des Lyoner Weberaufstandes und einige Jahrzehnte später der Pariser Kommune beteiligt war. Marx hat ihn im Kommunistischen Manifest namentlich als einen derjenigen erwähnt, die das Gespenst des Kommunismus jagen.

Michael Brie beschäftigt sich mit der Philosophie von Thomas Hobbes. Dessen Held war der Besitzbürger, der sein Eigentum verteidigt. Im Gegensatz dazu benennt Brie die frühsozialistische Bewegung der Digger, die sich für ein Kollektiveigentum an Land und Boden einsetzten und massiver staatlicher Verfolgung ausgesetzt waren.

Klaus Holz befasst sich mit der unheilvollen Symbiose Antisemitismus und Antikommunismus in der NS-Ideologie. Er verweist zudem auf die Versuche des Theologen Adolf Stoecker, der schon in den 1870er Jahren eine antisemitische Partei mit Anhang unter den Arbeitern zu gründen versuchte. Die Berliner Sozialdemokratie sorgte dafür, dass dieses Projekt scheiterte. Holz geht auch auf den Konflikt zwischen Stoecker und dem ebenfalls antisemitischen Historiker Heinrich von Treitschke ein, ein Nationalliberaler, der im Gegensatz zu Stoecker kein Interesse daran hatte, die Arbeiterschichten in seine Auseinandersetzung mit den Juden einzubeziehen. Doch gerade die Gruppe um Stoecker wurde zum Vorbild für die völkische Bewegung, zu der die NSDAP gehörte. Am Schluss seines Aufsatzes geht Holz auf die aktuellen rechtspopulistischen Strömungen ein, die sich als Verteidiger Israels im Kampf gegen den Islam aufspielen und trotzdem weiterhin zentrale Elemente des historischen Antisemitismus tradieren. »Der Rechtspopulismus nutzt das herkömmliche Arsenal, d. h. er kritisiert den Wirtschaftsliberalismus nicht, sondern nutzt ihn nur als Beleg für seine antiliberalen Feindbilder: Universalismus, Individualismus, Antinationalismus.«

Im letzten Kapitel widmet sich der Sozialwissenschaftler Enzo Traverso differenziert dem Stalinismus, der mehr war als eine bloße Negierung der Ideen der Oktoberrevolution. Ähnlich wie Napoleon Elemente der Französischen Revolution übernommen hat, führte Stalin Zeichen und Symbole der Revolution fort, ihres Inhalts jedoch beraubt. Die Nomenklatura rekrutierte sich aus ehemaligen Bauern und Arbeitern, die durch die Revolution in diese Position kamen. Traverso würdigt die Rolle der Kommunisten für den antikolonialen Kampf, der ihnen bei vielen Menschen des Trikonts hohe Anerkennung einbrachte. Wie alle Autoren dieses Buches erteilt auch er allen autoritären Sozialismusmodellen eine Absage. Die Perspektive erblickt er in Modellen des Anarchismus und der dezentralen Organisierung der I. Internationale.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!