• Politik
  • UN-Kriegsverbrechertribunal

Ex-Militärkommandeur Praljak vergiftete sich offenbar im Den Haager Gerichtssaal

72-Jähriger hatte nach seiner Verurteilung wegen Kriegsverbrechen im Jugoslawien-Krieg Flüssigkeit getrunken

  • Lesedauer: 3 Min.

Den Haag. Nach seiner Verurteilung zu 20 Jahren Haft beim UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag hat sich ein Angeklagter allem Anschein nach vor laufenden Kameras vergiftet. Das berichteten die kroatische Nachrichtenagentur Hina und das staatliche Fernsehen HRT am Mittwoch unter Berufung auf die Familie des Toten. Der 72-jährige Slobodan Praljak hatte nach seiner Verurteilung heftig protestiert und eine Flüssigkeit getrunken, seiner Verteidigerin zufolge handelte es sich um Gift.

Was der Mann genau eingenommen hatte und wie das Fläschchen mit der Flüssigkeit in den Gerichtssaal kommen konnte, war zunächst unklar. Richter Carmel Agius sagte, die niederländischen Behörden hätten Ermittlungen zu dem Vorfall aufgenommen. Während des Bosnienkrieges (1992-1995) war Praljak Militärchef der bosnischen Kroaten gewesen.

Der Angeklagte hatte nach seiner Verurteilung gerufen: »Slobodan Praljak ist kein Kriegsverbrecher. Ich weise Ihr Urteil zurück.« Dann hatte er aus einem kleinen dunklen Becher eine Flüssigkeit getrunken. Richter und Anwälte reagierten bestürzt.

Beim Gericht trafen Rettungskräfte ein, die zu dem Angeklagten gebracht wurden. Zunächst war berichtet worden, Praljak lebe und werde behandelt. Die Sitzung wurde bis zum frühen Nachmittag unterbrochen und in einen kleineren Saal verlegt. Der Richter sagte, der andere Sitzungssaal sei nun ein Tatort.

Gemeinsam mit fünf anderen Männern der ehemaligen Führungsriege der bosnischen Kroaten war Praljak wegen schwerer Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Bosnienkrieg (1992 bis 1995) angeklagt. Praljak war 2013 in erster Instanz zu 20 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Diese Strafe hatten die Berufungsrichter bestätigt.

Es sollte das letzte Urteil des UN-Kriegsverbrechertribunals zum früheren Jugoslawien sein, das nach rund 24 Jahren zum Jahresende seine Arbeit abschließt. Der Hauptangeklagte Jadranko Prlic (58), der ehemalige Regierungschef des damaligen, selbst proklamierten Kleinstaates Herzeg-Bosna, wurde erneut zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt. Bruno Stojic, der damalige Verteidigungschef, wurde ebenso wie Praljak, zu 20 Jahren Haft verurteilt. Auch die anderen Strafen der ersten Instanz wurden bestätigt.

Einer der Angeklagten war nicht zur Urteilsverkündung erschienen, da er seine Strafe bereits verbüßt hatte. Das Gericht bestätigte auch die Mitschuld des damaligen Präsidenten Kroatiens, Franjo Tudjman, an Kriegsverbrechen. Die Angeklagten seien schuldig für Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, urteilten die Richter. Tausende von Muslimen waren im bosnischen Krieg 1992 bis 1995 Opfer von Mord, Vergewaltigung, Vertreibung und Terror geworden.

Das UN-Tribunal war das erste internationale Gericht für Urteile wegen Kriegsverbrechen in Europa nach 1945. Ex-Serbenführer Radovan Karadzic wurde 2008 an Den Haag ausgeliefert. 2016 wurde er unter anderem für den Völkermord von Srebrenica zu 40 Jahren Gefängnis verurteilt. Der militärische Chef der bosnischen Serben, Ratko Mladic, war 2011 gefasst worden. Gegen den Ex-General verhängten die Richter erst in der vergangenen Woche eine lebenslange Haftstrafe.

Heute steht niemand mehr auf der Fahndungsliste des UN-Gerichts. Zu den 84 Verurteilten gehören die militärisch und politisch Verantwortlichen der schlimmsten Verbrechen. dpa/nd

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.