Polen und Banderas langer Schatten

Historischer Streit belastet die Beziehungen zwischen Warschau und Kiew

  • Wojciech Osinski, Warschau
  • Lesedauer: 3 Min.

»Eine strategische Partnerschaft mit der Ukraine ist und bleibt eines unserer wichtigsten diplomatischen Anliegen«, beteuerte Polens Außenminister Witold Waszczykowski jüngst im Gespräch mit der Tageszeitung »Rzeczpospolita«. Dieses Interview sollte eine vernehmbare versöhnliche Geste in Richtung Ukraine sein, nachdem die angespannten Beziehungen zwischen den beiden Nachbarn zuletzt beunruhigende Züge angenommen hatten. »Zu guten Beziehungen gehört aber auch, dass man schwierige Themen nicht verschweigt«, so Waszczykowski.

In dem diplomatischen Streit zwischen Warschau und Kiew geht es vor allem noch um die historische Betrachtung der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA), der am Dnepr Heldenkult zuteil wird, während sie in polnischen Geschichtsbüchern als Verbrecherbande dargestellt wird. Im Sommer 1943 haben Angehörige der UPA und der OUN des Nazi-Kollaborateurs Stepan Bandera bis zu 60 000 Polen getötet, zudem viele Russen, Juden und Armenier.

Ukrainische Zivilisten und Nationalisten haben in Wolhynien monatelang gebrandschatzt und gemordet. Indes kommt das Wort »Völkermord« den Akteuren in der Werchowna Rada bis heute nicht über die Lippen. In der historischen Betrachtung des Ukrainischen Instituts für Nationales Gedenken gilt das Massaker von Wolhynien als eines von vielen beiderseitigen Gräueltaten während des Zweiten Weltkriegs.

In der Tat wurden in einem Vergeltungsakt der polnischen Heimatarmee (AK) ebenfalls 3000 Ukrainer regelrecht hingerichtet. Doch wurden diese Taten von der Londoner Exilregierung rasch verurteilt, die Mörder alsbald bestraft. Von sinnstiftender Heldenverehrung kann in Warschau keine Rede sein.

Der frühere ukrainische Staatschef Wiktor Juschtschenko ging sogar weiter. Im Oktober appellierte er in einem Interview, die Polen sollten aufhören, den Ukrainern Geschichtsunterricht zu erteilen, habe Bandera doch nach dem gleichem Muster gehandelt wie einst Jozef Pilsudski. Der polnische Sozialist galt als einer der Gründungsväter der Zweiten Republik und hat 1920 mit seinen Soldaten gar kurzzeitig Kiew besetzt. Er hinterließ jedoch gewiss keine Spur der Verwüstung.

Dennoch wird am Dnepr immer wieder auch das Bild des »polnischen Kolonialisten« ins Feld geführt, dem sich der Ukrainer in der Vergangenheit oft unterzuordnen hatte. Dabei ist einem bilateralen Abkommen Pilsudskis mit Symon Petljura zu verdanken, dass beide Länder zumindest für einige Jahre gemeinsam dem sowjetischen Imperium die Stirn zu bieten vermochten.

Und dies ist auch der Tenor der heutigen Geschichtspolitik in Kiew: »Vergessen wir die historischen Animositäten, ihr seid auch nicht gerade zimperlich mit uns umgegangen. Wir haben immer noch einen gemeinsamen Feind im Osten.« Aber fast jeder Pole ahnt: Dieser Weg ist ebenso falsch, wie das einfache Aufrechnen von Opferzahlen.

Solange ukrainische Historiker die UPA in einem Atemzug mit der AK nennen oder etwa Bandera mit Pilsudski vergleichen, werden sie auch künftig mit polnischen Kollegen Schwierigkeiten haben. Dann werden vermutlich auch weiterhin beiderseits der Grenze Gräber und Mahnmäler von Nationalisten geschändet.

Von einer polnisch-ukrainischen »Schuldsymmetrie« spricht der populäre Autor Jurij Andruchowytsch, der ansonsten für seine liberalen Ansichten bekannt ist. Die stellvertretende Ministerpräsidentin und EU-Beauftragte Iwanna Klympusch-Zynzadse ließ es sich kürzlich nicht nehmen, bei einer der Einweihung eines Denkmals für die »Helden der OUN« von der »Bestialität polnischer Okkupanten« zu berichten.

Dabei hat die »erste« UPA zweifelsfrei Protagonisten hervorgebracht, die ihren ehrwürdigen Platz in der ukrainischen Historie verdienen. Der unermüdliche Taras Borowez hatte sich beispielsweise den ethnischen Säuberungen Banderas sowie den antipolnischen Tendenzen der OUN heldenhaft widersetzt.

Wie dem auch sei: Warschau wird auch künftig Kiew unterstützen und die Zusammenarbeit lässt optimistisch in die Zukunft schauen. Hinter der effektvollen Fassade geschichtspolitischer Fehden kann leicht in Vergessenheit geraten, dass 54 Prozent der ausländischen Studenten an polnischen Hochschulen aus dem östlichen Nachbarland stammen. An der Weichsel wächst die künftige intellektuelle Elite der Ukraine heran und es darf bezweifelt werden, dass sie Polen feindlich gesonnen sein wird. Trotz aller scharfzüngigen Rhetorik hat auch Staatschef Andrzej Duda noch nicht seinen Kiew-Besuch aus dem Terminkalender gestrichen.

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