Kiewer Minister sagt Minsker Abkommen tot
Kritik von Russland und der EU / Verhandlungen über Friedensmission ins Stocken geraten
»Die Minsker Vereinbarungen waren zu einem bestimmten Zeitpunkt notwendig, um das Blutvergießen zu stoppen. Diese Funktion haben sie erfüllt. Nun sind sie aber tot - und es gibt keinen Sinn, über sie zu sprechen.« Mit diesen Worten überraschte zu Wochenbeginn der ukrainische Innenminister Arsen Awakow, der als zweitmächtigster Politiker des Landes hinter dem Präsidenten Petro Poroschenko.
Wohl für alle Beteiligten und Vermittler im Donbass-Konflikt ist es offensichtlich, dass das im Februar 2015 in Minsk abgeschlossene Friedensabkommen den Krieg im Osten der Ukraine nicht beenden wird. Weil das Minsker Abkommen jedoch die einzige bislang existierende Grundlage für eine Lösung des Konflikts darstellt, gehörte es zum guten Ton sowohl für Kiew als auch für Moskau, Treue zur Vereinbarung zu bekennen.
»Das Minsker Abkommen kann den Konflikt nicht lösen. Vor allem nicht in jener Weise, wie es von Russland interpretiert wird. Es muss eine neue Vereinbarung geben - von Wien, Paris oder was auch immer«, sagte Awakow. Sein Berater, der Parlamentsabgeordnete Anton Geraschtschenko geht sogar noch weiter: »Man kann schon sagen, dass wir Russland ausgetrickst haben. Wir haben das Abkommen unterschrieben, ohne vorzuhaben, es zu erfüllen.« Doch was bedeuten diese Worte tatsächlich?
Mit solchen Aussagen setzen Awakow und seine Verbündete Petro Poroschenko, mit dem der Innenminister schon länger einen Konflikt austrägt, politisch unter Druck. Das Minsker Abkommen ist zumindest in der ukrainischen Zivilgesellschaft unbeliebt und wird mit großer Skepsis wahrgenommen.
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Tatsächlich haben sich die Kämpfe an der Frontlinie innerhalb der letzten Wochen wieder verstärkt. So meldete das ukrainische Verteidigungsministerium am Freitag, dass es der Armee gelungen sei, die taktischen Positionen zu verbessern - was allerdings »voll im Sinne des Minsker Abkommens« geschah. Mehreren Quellen zufolge ist es der Ukraine gelungen, den kleinen Ort Werchnetorezke im Jassynuwata-Gebiet des Verwaltungsbezirks Donezk zurückzuerobern. Gleichzeitig stocken die Verhandlungen über UN-Friedenstifter im Donbass, weil die Positionen der Konfliktparteien sich doch stark unterscheiden.
Mitte November trafen sich der US-amerikanische Sondergesandte für den Ukraine-Konflikt Kurt Volker und Wladislaw Surkow, Berater des russischen Präsidenten Wladimir Putin. »Wir haben über unsere Friedensstifter-Initiative gesprochen. Die Amerikaner übergaben uns ihre Vorschläge: Von 29 Absätzen fanden wir drei in Ordnung. Es ist wenig, aber immer noch besser als Null«, meinte Surkow. Laut Volker ist es für Washington und Kiew wichtig, dass die Blauhelmtruppen Zugang zur ukrainisch-russischen Grenze hat und kein russisches Personal an der UN-Mission teilnimmt. Deutschland unterstützt diese Position: »Unsere Vorstellungen sind sehr ähnlich«, sagte Außenminister Sigmar Gabriel am Rande seines Besuchs in Washington.
Dass die Friedensstifter-Verhandlungen ein konkretes Ergebnis bis zum Jahresende bringen, ist unwahrscheinlich. »Das nächste Treffen mit Volker wird wohl im nächsten Jahr stattfinden, hoffentlich ganz am Anfang«, betont Surkow. Noch für dieses Jahr ist ein großer Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und den selbsternannten Volksrepubliken Donezk und Luhansk geplant. Die dreiseitige Sonderkontaktgruppe, die in Minsk verhandelt, hat dies Ende November bestätigt. »Alle Seiten sind sich einig, dass der Austausch vor den Neujahresferien stattfinden soll«, sagte die Pressesprecherin des ukrainischen Ex-Präsidenten Leonid Kutschma, der Kiew in der Kontaktgruppe vertritt.
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