SPD-Vorstand spricht sich für Gespräche mit der Union aus

Bundesparteitag muss Vorgehen noch zustimmen / Juso-Chef Kühnert: Es müsse »alles Menschenmögliche« getan werden, um alle anderen Optionen zur Großen Koalition auszuschöpfen

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Berlin. Der SPD-Parteivorstand hat sich einstimmig für ergebnisoffene Gespräche mit der Union über eine mögliche Regierungsbildung ausgesprochen. Die SPD fühle sich »verpflichtet, in Gesprächen auszuloten, ob und in welcher Form die SPD eine neue Bundesregierung mittragen kann«, heißt es in dem am Montag in Berlin gefassten Beschluss. »Wir müssen uns den großen Herausforderungen stellen«, sagte Parteichef Martin Schulz nach der Entscheidung des Vorstands.

Der bevorstehende SPD-Bundesparteitag muss dem Vorgehen allerdings am Donnerstag noch zustimmen. In dem Vorstandsbeschluss machen die Sozialdemokraten auch erneut deutlich: »Es gibt für uns keine Vorfestlegung und keinen Automatismus«, etwa mit Blick auf eine große Koalition. Welche Form eine mögliche Zusammenarbeit mit der Union haben könnte, »wissen wir noch nicht«, sagte Schulz. Im Gespräch ist beispielsweise auch die Tolerierung einer unionsgeführten Minderheitsregierung.

Erste Gespräche mit der Union will die SPD im Fall eines positiven Votums des Parteitags in der kommenden Woche führen. Danach soll der Parteivorstand die Lage erneut bewerten. Über eine etwaige Aufnahme von Koalitions- oder Kooperationsverhandlungen soll zuvor ein kleiner Parteitag, ein Parteikonvent, entscheiden, wie Schulz versicherte. Dieser dürfte frühestens im Januar stattfinden. Über einen möglichen Koalitionsvertrag soll schließlich die Parteibasis der SPD in einem Mitgliedervotum abstimmen.

Der Beschluss der Parteispitze legt auch eine Reihe inhaltlicher Punkte fest, die für die SPD in Gesprächen mit der Union im Vordergrund stehen sollen. Darunter sind Solidarrente und Bürgerversicherung ebenso wie Familiengeld und Entlastungen für Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen oder das Recht auf Familiennachzug für Flüchtlinge mit dem eingeschränkten subsidiären Schutz. Breiten Raum nimmt die Forderung nach einem »demokratischen, solidarischen und sozialen Europa« ein. Dabei setzt die SPD auf ein gemeinsames Vorgehen mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron.

Jusos-Chef kritisiert SPD-Leitlinien als zu weich

Der neue Jusos-Chef Kevin Kühnert hat die Leitlinien der SPD-Spitze als zu weich kritisiert. Es reiche nicht aus, dass sozialdemokratische Forderungen als »essentiell« beschrieben würden. Dies sei zu vage, sagte Kühnert am Montag der Deutschen Presse-Agentur.

Auch halte er es für problematisch, wenn voraussichtlich im Januar ein kleiner Parteitag mit dann 45 stimmberechtigten Vorstandsmitgliedern und 200 Delegierten über die Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU entscheide. »Wir steuern auf einen schwierigen Prozess zu, bei dem die Partei auch mitgenommen werden muss. Da halte ich die Legitimation des Konvents persönlich für zu gering«, sagte Kühnert, der einen Sonderparteitag für wünschenswert hält.

Die Jusos, die strikt gegen einer erneute große Koalition mit der Union sind, wollen beim am Donnerstag beginnenden Parteitag für ihre Haltung kämpfen. Es müsse »alles Menschenmögliche« getan werden, um alle anderen Optionen zur großen Koalition auszuschöpfen. Noch einmal vier Jahre GroKo würden der SPD und dem Land nicht guttun. Nach Angaben von Kühnert ist die vom SPD-Nachwuchs gestartete Online-Petition »No GroKo« mittlerweile von mehr als 10.000 Menschen unterzeichnet worden, darunter viele Parteimitglieder.

Schulz hatte nach dem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis der Sozialdemokraten eigentlich den Gang in die Opposition angekündigt. Nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungen von Union, FDP und Grünen waren er und andere führende SPD-Politiker aber schrittweise vom strikten Nein zu einer möglichen Neuauflage der Großen Koalition abgerückt.

»Die SPD war und ist sich ihrer Verantwortung für unser Land bewusst«, heißt es nun in dem Vorstandsbeschluss. »Es kann uns nicht gleichgültig sein, ob eine Bundesregierung zustande kommt oder am Ende Neuwahlen stattfinden werden.« Politische Grundlage für die Gespräche sei das sozialdemokratische Wahlprogramm. AFP/nd

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