• Politik
  • »Kooperations-Koalition«

Liebäugeln mit Tolerierung light

Eine »Kooperations-Koalition« soll der SPD die Regierungsverantwortung ersparen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Sozialdemokraten haben offenbar einen Weg gefunden, beim Blick auf die Union aus der Schockstarre zu finden. Bisher gelähmt im Bewusstsein, dass die nächste Große Koalition der SPD den Todesstoß versetzen könnte und geklammert an Maximalforderungen an die Union, um genau das zu verhindern, verspricht eine neue Idee plötzlich die Lösung. Nur soviel Regierungsverantwortung, dass sie nicht wehtut, und die Freiheiten der Opposition - damit will sich die SPD retten. Und es ist ausgerechnet die Parteilinke, die ja einer Großen Koalition am skeptischsten gegenübersteht, welche ihr zu der Idee verhilft.

Seit Wochen werden die verbliebenen Möglichkeiten einer Regierungsbildung hin und hergewendet: Große Koalition aus Union und SPD, Minderheitsregierung der Union oder Neuwahlen. Bei der Variante einer Minderheitsregierung, die sich für ihre Regierungsziele jeweils wechselnde Mehrheiten im Parlament suchen müsste, ist die Tolerierung ein Spezialfall. Diese würde über einen Vertrag zwischen der Minderheitsregierung der Union und der SPD vereinbart, die damit aber in der Opposition verbliebe. Gleichwohl wäre sie an die Regierungsziele der Union gebunden. An Ausscheren würde sofort eine Regierungskrise herbeiführen.

Was die SPD-Linke nun vorschlägt, ist eine Zwischenstufe, nicht ganz die klassische Minderheitsregierung und nicht ganz Tolerierung. Diese Tolerierung light würde sich nach den Vorstellungen des Sprechers der Parlamentarischen Linken, Matthias Miersch, auf eine Handvoll größere Projekte beziehen und der SPd ansonsten freie Hand in der Opposition lassen. »Wir haben dann die Freiheiten auch jenseits einer solchen Zusammenarbeit wirklich mit anderen Fraktionen zu stimmen.« Es gehe um fünf bis zehn Projekte, die man gemeinsam verabredet und durchsetzt, darunter sicher der Bundeshaushalt, so Miersch gegenüber der dpa. »Ich würde es eine Kooperation nennen, das ist viel freier als eine Koalition.« Ein Abgeordneter meinte dazu: »Das wäre eventuell eine Brücke, über die viele in der SPD gehen könnten.« Immerhin scheint SPD-Chef Martin Schulz von der Idee so angetan, dass er am Montagabend in der Sitzung der Bundestagsfraktion darüber referierte.

In Deutschland gab es bislang drei Bundesregierungen, die sich nicht auf parlamentarische Mehrheiten stützen konnten. Allerdings waren dies kurzzeitige und keine geplanten Regierungsprojekte. Ob das Kabinett von Ludwig Ehrhard im November 1966 oder die von Willy Brandt 1972 und Helmut Schmidt 1982 - immer waren sie Folgen von Koalitionskrisen. Auf Bundesländerebene findet man eher Beispiele, die über einen längeren Zeitraum dauerten, so in Hessen von 1982 bis 1985. Hier tolerierten die Grünen eine Minderheitsregierung der SPD, was praktisch als Versuchsfeld für die bundesweit erste rot-grüne Koalition diente. Seine Perfektion erreichte das Tolerierungsmodell erst nach der deutschen Vereinigung von 1990 und ausgerechnet in den neuen Bundesländern, als das SPD-Kabinett von Reinhard Höppner sich über zwei Legislaturperioden hinweg, von 1994 bis 2002, von der PDS tolerieren ließ. Man könnte dies als eine Art Tolerierung unter umgekehrten Vorzeichen betrachten. Die PDS verschaffte sich damit Akzeptanz als (Mit-)Regierungskraft, die SPD will sich von dem Makel befreien, Mitregierungskraft der Union zu sein.

Die Idee schaufelt freilich alle Risiken eines Scheiterns auf die Seite der Union. CDU-Vize Julia Klöckner wandte sich gegen »Halbabsprachen mit der SPD.« Man könne »nicht die Hand reichen für ein bisschen Absprache, für ein bisschen Tolerierung, für ganz großes Rosinenpicken der SPD, die sich nicht richtig traut«, sagte sie der gegenüber der »Neuen Osnabrücker Zeitung«.

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