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Großvater Putin im Wahlkampf
Jahrespressekonferenz des russischen Präsidenten in Moskau mit Rekordbeteiligung und vielen Fragen
Mit schnellen Schritten und leicht verspätet kommt Russlands Staatschef kurz nach 12 Uhr mittags Ortszeit zu seiner Jahrespressekonferenz in das Moskauer Internationale Handelszentrum. Noch etwas außer Atem verzichtet er auf eine einleitende Stellungnahme. Fragen. Der Radiosender »Goworit Moskwa« gibt die Richtung vor: »Warum kandidieren Sie zur Präsidentenwahl? Was ist Ihr Ziel?« Als Schwerpunkte nennt der Bewerber um eine vierte Amtszeit den Ausbau der Infrastruktur, das Gesundheitswesen, Bildung, die Erhöhung der Arbeitsproduktivität und der Bevölkerungseinkommen.
Putin hofft auf eine breite Unterstützung der politischen Parteien wie der russischen Gesellschaft und beteuert sein Interesse an ernsthafter politischer Konkurrenz. Er anerkennt, viele seien nicht zufrieden. »Und es ist richtig, dass viele unzufrieden sind«. Für das Fehlen einer »Nummer 2« in der russischen Politik sieht er sich aber nicht verantwortlich: »Ich soll mir doch nicht etwa selbst Konkurrenten schaffen?«
Mit der TV-Journalistin Xenia Sobtschak hat allerdings eine Mitbewerberin schon vor Beginn größere Aufmerksamkeit gefunden und im Saal Platz genommen. Im leuchtend roten Kleid, aber spätestens wegen eines größeren Schildes, auf dem ihr Name steht, ist sie leicht zu finden. Nach drei Stunden kommt sie zu Wort für den TV-Sender »Doschd«. Es würden entweder keine Kandidaten zugelassen oder ihnen Schwierigkeiten bereitet, beklagt sie unter Hinweis auf das eigene wie das Beispiel des Oppositionellen Alexej Nawalny. »Warum fürchtet die Macht eine ehrliche Konkurrenz?«
Diese müsse mit positiven Programmen, »echten« Vorschlägen auftreten, doch mit welchen treten Sie auf, fragt er und antwortet selbst unter einigem Beifall: »Gegen alle«. Eine Destabilisierung nach Art des georgischen Expräsidenten Michail Saakaschwili, der nun in der Ukraine Unruhe stifte, würde die überwältigende Mehrheit der Russen nicht wollen, und sie werde nicht zugelassen.
Der Amtsinhaber ist auf seiner Pressekonferenz klar im Vorteil. Nicht wenige Schilder, die deren Trägern Beachtung ihrer Fragen sichern sollen, passen in den Wahlkampf. »Held der kommenden Zeit«, dürfte Putin dabei ebenso meinen wie die Botschaft des T-Shirts mit dem Aufdruck: »Sewastopol. Putin für immer«. Weniger eindeutig erscheinen hingegen solche Hinweise wie »Ich glaube an Wunder« oder »Müll überall«.
Einmal ist Wladimir Wladimirowitsch, wie der Staatschef in aller Regel angesprochen wird, kurz irritiert. Er glaubt, die Aufforderung »Putin bye bye!« ausgemacht zu haben und fragt nach. Doch die Journalistin verweist auf die Bedeutung von »Babaj« in tatarischer Sprache: Großvater. Das aber trifft durchaus zu.
Schon zuvor waren sich politische Beobachter in Russland weitgehend einig, dass die traditionelle Pressekonferenz des russischen Präsidenten am Jahresende nur zum Wahlkampfauftakt um die russische Präsidentschaft geraten könne. Dazu passt, dass Wladimir Putin just zwei Tage zuvor einen Erlass über die Erhöhung der Einkommen von Diplomaten, Staatsangestellten und Mitarbeitern der Justizorgane um vier Prozent ab 1. Januar 2018 unterzeichnet. Gerade einmal acht Tage zuvor hat der 65-Jährige seine Kandidatur durchaus mit Sinn für Symbolik in der Wolgastadt Nishni Nowgorod vor den GAZ-Autowerkern öffentlich gemacht.
Russland habe die beiden Schocks der Jahre 2014 und 2015 erfolgreich überwunden, berichtet Putin: den Absturz der Preise für Energieträger und die Sanktionen. Die Wirtschaftsleistung sei um 1,6 Prozent gewachsen, die Industrieproduktion ebenfalls um 1,6 Prozent. »In diesem Jahr verbuchten wir die größte Getreideernte der Geschichte und den Aufstieg zum weltgrößten Getreideexporteur.« Die Wirtschaft werde kurz- und mittelfristig weiter wachsen.
Eine Aufbesserung von gut einem Prozent über der Inflationsrate gerade bei den Mitarbeitern des Kreml, der Regierung, des Föderationsrates oder in den Ministerien dürfte kaum für Missstimmung sorgen. Den Anstieg des Realeinkommens der Bevölkerung bezifferte zuvor Premier Dmitri Medwedjew auf drei Prozent im Jahre 2017, der in seinen föderalen Verantwortungsbereichen ebenfalls rund vier Prozent drauflegte. Wenn er auch selbst nicht im März 2018 antritt, kann Medwedjew nur an einem Erfolg seines Gönners im Kreml gelegen sein. Dieser wiederum lobt seinerseits die Regierung. Wahlen werden aber nun mal in aller Regel nicht mit der Außen-, sondern vielmehr in der Innenpolitik und nicht zuletzt mit der Sozialpolitik entschieden.
Noch am Vortag verabschiedete die Duma in erster Lesung den vom Präsidenten eingereichten Gesetzentwurf über staatliche finanzielle Beihilfen für anderthalb Jahre bei Geburt des ersten und zweiten Kindes. Eine klare Antwort auf die Frage nach einer Erhöhung des Renteneintrittsalters von derzeit 55 Jahren für Frauen und 60 Jahren für Männer vermeidet der Staatschef. Einen »Schock« soll es aber nicht geben.
Die vorherige Ankündigung eines Truppenrückzuges aus Syrien und die Entscheidung, bei Olympia statt eines harten Kurses des Boykotts quasi einen weichen der individuellen Teilnahme ohne Flagge und Hymne zu fahren, dürfte Putin auch nicht ohne den Blick auf das nächste Jahr getroffen haben. Nach knapp vier Stunden gibt er dafür gute Wünsche mit.
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