Nicht weniger als die Weltrettung
Der Abschied von Kohle, Gas und Öl in Deutschland würde vielen Menschen das Leben retten
Wenige Minuten vor meiner ersten Bundestagsrede zum Kohleausstieg Ende November, kurz nach dem Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche, fasste mein Vorredner von der AfD Energiewende und Klimaschutz so zusammen: »Deutschland hat wahrlich andere, viel größere und dringlichere Baustellen, als einem solchen Irrweg weiter hinterherzurennen.«
Die Rechtsradikalen nutzen die Geflüchteten aus Kriegsgebieten in Syrien, Afghanistan, Jemen, die Notleidenden aus Hungerregionen wie Südsudan, um die Gesellschaft nach rechts zu rücken, Ängste zu schüren, die Grenzen hoch zu ziehen, einen egoistisch-nationalen Kurs salonfähig zu machen. Was schert mich die große weite Welt da draußen? »Nach mir die Sintflut«, ist das Motto der Scheuklappen-Ideologen.
Die EU baut neue Mauern um Europa. Der reiche Norden schickt Soldaten, Kriegsschiffe und Militärflugzeuge nach Afrika und in den Nahen Osten. Erst diese Woche hat der Bundestag neue UN-und NATO-Missionen rund um die Welt beschlossen. Einzig die LINKE stimmte gegen Bundeswehr-Flaggen am Hindukusch, Darfur, Nord-Irak, Mali, Mittelmeer und Südsudan. Fluchtursachen zu bekämpfen hieße, die Misere der Menschen in diesen Ländern an ihrer Wurzel zu packen und die Lebensbedingungen dort zu verbessern. Neben einer gerechten globalen Wirtschaftsordnung gehören dazu gerade auch der Kohleausstieg, ein Abschied vom Verbrennungsmotor bei Autos, keine Öl-Heizungen – eben die gesamte Dekarbonisierung der fossilen Gesellschaft.
Dabei ist es längst eine Binsenweisheit, dass der vom reichen Norden verursachte Klimawandel Kriege und Migration anheizt. Dafür reicht ein Blick in das von Bürgerkrieg geplagte Jemen: »Sanaa gilt als erste Hauptstadt der Welt, die innerhalb der nächsten zehn Jahre ohne Trinkwasser sein könnte«, heißt es in einer Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion. »In Jemen führt der Klimawandel zu Veränderungen der Regenfälle, einem Anstieg der Temperaturen, häufigeren und heftigeren Extremwetterereignissen sowie dem Anstieg des Meeresspiegels. Da Jemen ein besonders fragiles Land ist, könnten sich die Effekte des Klimawandels weitaus drastischer auswirken. Bereits jetzt ist die Pro-Kopf-Wasserverfügbarkeit in Jemen weltweit am niedrigsten, die Wasserspiegel der Grundwasservorkommen fallen um bis zu sieben Meter pro Jahr«.
Während wir also in Deutschland die nationalen Klimaziele verfehlen, also noch immer jedes Jahr Millionen Tonnen CO2 auf die Mülldeponie Atmosphäre schmeißen, ohne dafür zu bezahlen, werden Länder wie Jemen dem Klimawandel zum Fraß vorgeworfen: »Erwartbar sind im Zuge des Klimawandels in Jemen eine weiter sinkende Wasserverfügbarkeit, stärkere Stürme und Überschwemmungen, längere Dürreperioden, vermehrte Wüstenbildung, Schäden und Verluste an Agrarland, an Obstbaum- und Tierbestand sowie an der Infrastruktur. Der Meeresspiegelanstieg dürfte Verluste einzelner Küsten- und Feuchtgebiete sowie geringere Fischereierträge zur Folge haben.«
Und: »Da Jemen ein besonders fragiles Land ist, könnten sich die Effekte des Klimawandels weitaus drastischer auswirken.« Allein in 2017 gab es laut UN rund 25 Millionen Menschen, die vor den Folgen des Klimawandels fliehen. Das sind fast dreimal mehr Klimaflüchtlinge als Vertriebene durch Krieg und politische Verfolgung. Wie fragte der AfD-Politiker in der Bundestagsdebatte so dumm-zynisch: »Was wollen Sie eigentlich? Die Welt retten?« Ja, genau darum geht es.
Lorenz Gösta Beutin ist Klima- und Energiepolitiker in der Bundestagsfraktion der LINKEN.
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