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Passierscheine vom Islamischen Staat
Zementkonzern Lafarge zahlte Schutzgelder an diverse Milizen für Werk in Syrien
Der französische Zementkonzern Lafarge hat zwischen 2012 und 2014 regelmäßig Schutzgelder an den Islamischen Staat gezahlt, damit das Werk weiterproduzieren konnte. Das hatten vor Monaten zunächst Journalisten aufgedeckt, woraufhin die Justiz Ermittlungen aufnahm. Sie leitete zunächst Untersuchungsverfahren gegen mehrere Manager ein, darunter den Direktor der Lafarge-Filiale in Syrien und den Sicherheitsdirektor des Konzerns in Paris. Das französische Unternehmen ist mittlerweile Teil des weltgrößten Zementkonzerns Lafarge-Holcim, der es auf 90.000 Mitarbeiter weltweit und fast 30 Milliarden Euro Jahresumsatz bringt.
Laut den Ermittlungen haben die Manager, als das Werk in Nordsyrien ins Kampfgebiet der unterschiedlichen Kriegsparteien geriet, nacheinander Geld an kurdische Milizen, Rebellen der Freien Syrischen Armee, an Djihadisten der Al-Nusra-Front und schließlich den Islamischen Staat (IS) gezahlt. Begonnen hatte das mit 200.000 Dollar für kurdische Milizionäre, die neun syrische Mitarbeiter des Werks entführt und Lösegeld gefordert hatten. »Wir wurden regelmäßig erpresst und haben uns darauf eingestellt, denn es ging ja um die Existenz des Werks«, gab der Lafarge-Direktor für den Nahen Osten, Christian Herrault, zu Protokoll. »Außerdem handelte es sich anfangs bei den Kurden und der Befreiungsarmee um ›gute‹ Kräfte, die von den westlichen Ländern unterstützt wurden.« Als später Al-Nusra und dann der IS Herren des Territoriums wurden, setzte man die Zahlungen einfach fort, räumte Herrault ein. »Die Summen, um die wir erpresst wurden, entsprachen monatlich dem Wert von etwa 500 Tonnen Zement. Wir lagerten allein in den Silos des Werks 20 000 Tonnen. Sollten wir da wegen 500 Tonnen das Werk schließen und abziehen?« Sicherheitsdirektor Jean-Claude Veillard, ein ehemaliger Offizier, billigte das Vorgehen, zumal ihm bei Nachfragen im Pariser Außenministerium zur Sicherheitslage vor Ort immer wieder gesagt wurde, »wir sollten alles tun, um die französische Präsenz im Land aufrechtzuerhalten«.
So hat Lafarge Monat für Monat etwa 200 000 Dollar in bar an die verschiedenen Kriegsparteien gezahlt und konnte im Gegenzug weiterproduzieren, um am Zement für den Wiederaufbau des zerbombten Landes zu verdienen. Der Justiz liegen Passierscheine für Lkw-Fahrer des Werkes vor, in denen es auf Arabisch heißt: »Im Namen Allahs des Allmächtigen werden die Brüder Mudschahedin aufgefordert, an den Straßensperren dieses Fahrzeug passieren zu lassen, das dem Zementwerk Lafarge gehört und in Absprache mit uns wichtiges Material transportiert.« Darunter ein Stempelabdruck mit dem Logo des Islamischen Staates.
Das Pariser Außenministerium erklärte jetzt, man habe nie gewusst, dass Lafarge erpresst wurde. Das Wirtschaftsministerium ging sogar in die Vorwärtsverteidigung und zeigte, bevor man ihm Vorhaltungen hätte machen können, den Lafarge-Konzern wegen »Verstoßes gegen den über Syrien verhängten internationalen Wirtschaftsboykott« an.
Bisher erstreckte sich die Anklage wegen »bandenmäßigen Betrugs, Unterschlagung, Steuervergehen und Finanzierung einer terroristischen Organisation« nur auf Manager von Lafarge im Nahen Osten. In der Chefetage am Sitz in Paris wollte niemand etwas von den Vorgängen in Syrien gewusst haben. Der Ermittlungsrichter erklärte jetzt, dass dies »in höchstem Maße unglaubwürdig und durch Aussagen und Dokumente widerlegt« sei. Die in bar gezahlten Schutzgelder seien durch bewusst überhöhte Rechnungen »abgezweigt« und das Ganze durch fingierte Buchhaltungsoperationen kaschiert worden, was ohne Zutun der Pariser Zentrale nie möglich gewesen wäre. Darum ließ der zuständige Untersuchungsrichter jetzt auch Bruno Lafont, Konzernchef von 2002 bis 2015, und andere Spitzenmanager von Lafarge zunächst 48 Stunden in Untersuchungshaft nehmen und verhören. Auch die Spitzenmanager müssen nun mit einer Anklage rechnen.
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