»... weil keiner bei dem Kinde ging«

Uwe Kolbe tastet nach einem Leben - mit Gott

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 3 Min.

Es ist in diesen Gedichten, als werde eine Wand, lange genug angeschaut, plötzlich durchsichtig. Es ist, als dankten auf den unentwegten Redeflüssen von Welt und Wichtigkeit alle Schaumkronen ab. Es ist, als feiere ein Dichter eine ersehnte Erfahrung: Man kann sich wärmen lassen vom Unabsehbaren; man kann die Dinge wahrlich so sanft be-herzigen, dass die Schrittmacher brotlos werden. »Psalmen« heißt der neue Gedichtband von Uwe Kolbe, die Verse sind ein Gespräch mit biblischen Liedern und Gebeten. Sind Aufkündigung. So heißt es in »Der 119. Psalm«: »Abend wird, und gestellt sind die Fragen,/ Antworten, schwarz, halte ich, Gesetze/ .../ Ewig das Ungelungene, Herr, ich halt mich zum/ End meiner Tage eng an dein weißes Gebot.«

Gott? Hier berührt ein Dichter etwas bislang von ihm Verdrängtes, Versäumtes, Verwischtes. Nachwehen einer Herkunft? Linkenpolitiker Gregor Gysi hat in einem Interview die »Entkirchlichung« in der DDR als den »beklagenswerten Austrieb eines entscheidenden ethischen, moralischen, geistigen Regulativs« bezeichnet. Denn keine Politik, kein Parteikonzept, keine »areligiöse Weltsicht« könne ethische Maßstäbe so transportieren, erwecken, festigen, wie es »in Glaubensnähe möglich« sei.

Kolbe, 1957 in der DDR geboren, sagt das ebenfalls, er gibt uns nun sein korrigierendes Buch und schreibt im Geleit: »Das sind Psalmen eines Heiden, der Gott verpasste, weil keiner bei dem Kinde ging, der sagte, hörst du die Stimme?« Das Rückbesinnen aber bringt eine Ahnung: »All das Schweigen in dem, was ich schrieb, galt von Anfang an dem größeren Gegenüber.« So sind diese Gedichte ein nachholendes, aufholendes Tasten. Wer sich Gott schafft, reagiert auf eine Not. Wer Gott also nicht benötigt, ist der darum weniger in Not? Wohl kaum.

Der Dichtende bilanziert sich und sein bisheriges Werk radikal: »Das Lied ohne Gott ist tonlos,/ es langweilt sich bei sich selbst.« Nicht dass Kolbe nunmehr zur Kirche dränge, aber der Gesprächsversuch mit ihm, den er »Herr« nennt, wirkt so innig, weil Psalm und Gebet nah der Poesie siedeln: mutigste Artistik - beschäftigt mit der Illusion des Aufschwungs, und das ohne Netz. Gott ist in diesen Versen der Angerufene wider jede Schändung durch Herrschaft. Die selbst in jeder Liebe steckt. Aber der Autor bleibt nicht wunschlos versonnen und versunken, »das sind nicht Psalmen, die auf einen Himmel ausgehen, das sind Gedichte, Fragen und auch manches Flehen«.

Flehen - das heißt in diesen Texten über Feuer und Eisvogel, Wort und Schlaf, Rache und Opfer, Staub und das Nährende: »... dass ich noch alle Nacht/ suche und lausche auf Stimmen und frage,/ ob ich dich finde, der ich dir angehöre,/ leise hinaus in die Irre, stille, dann stumm.« Also: nicht meinen, man habe etwas von Höherem begriffen, nur weil man forsch und leichtfertig einen religiösen Ruf aufnimmt: Fürchtet euch nicht! Doch, fürchtet euch. Fürchte - dich. Deine Verstiegenheit; deinen Begreifenseifer; dein Einverständnis damit, ein Erziehungsprodukt zu sein von Angebotswirtschaft und Emanzipation. »Ich spielte das Leben/ mit Masken und blieb so wie neu«, schreibt Kolbe. Solche Praxis mag alltägliche Ängste vertreiben, die existenzielle Fürchtigkeit hoffentlich nicht. »Gottes Verzeihen, wir leben in Furcht daraufhin.« Gut so, denn im Grunde setzt sich in allem, was wir tun oder lassen, so viel vergiftend Unverzeihliches ab.

Sehend werden, das heißt für Kolbe: empfindlich bleiben. Man muss schon etwas von sich selber hinzutun, wenn die Dinge einem nah sein sollen. Dir bietet kein Baum Schutz, du musst ihn suchen. Alles, was erfreuen kann, steht kühl und spröd vor uns, will nichts von uns, ist uns nicht zugehörig. Der Schritt auf die Welt zu - erst dies ist jener tägliche Mut, der einen Sinn eröffnen kann. Und Schönheit. Und Schmerz.

Uwe Kolbe: Psalmen. S. Fischer Verlag, 80 S., geb., 16 €.

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