Demo-Styling-Tipps von der »Bild«

Warum sich das Boulevardblatt über die Fotofahndung der Soko »Schwarzer Block« freuen konnte

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Als die Hamburger Polizei zu Wochenbeginn ihre öffentliche Fotofahndung nach 104 mutmaßlichen G20-Straftätern eröffnete, ließ sich mit ein wenig Fantasie ausmalen, welche Euphorie in der »Bild«-Redaktion geherrscht haben muss: Geil, wir können »linksextreme« Chaoten an den Pranger stellen und müssen dafür nicht einmal Facebook durchsuchen! Schließlich lieferte die Soko »Schwarzer Block« das gewünschte Material frei Haus. Ob sie sich im Axel-Springer-Hochhaus ein bisschen wie 1968 fühlen? Am Dienstag titelte das Boulevardblatt schließlich nicht nur mit dem »G20-Chaoten«, sondern es fand sogar einen Weg, sein vor Jahren abgeschafftes Seite-1-Girl fast zu reanimieren: »So jung, so voller Hass! Polizei sucht diese Krawall-Barbie«, lautete die Überschrift zum Foto einer blonden Frau, bei der »Bild« glaubt, betonen zu müssen, dass sie ein bauchfreies Top und »eine luftige Stoffhose und Turnschuhe« trägt, was eher einem »fröhlichen Sommer-Outfit« entspreche. Es drängt sich der Verdacht auf: Von dem Boulevardblatt kann schon länger niemand mehr auf einer linken Demo gewesen sein.

Nun mag sich »Bild« vermutlich als Hüterin von Recht und Ordnung fühlen, doch dass die Gazette übereifrig auf die umstrittene Maßnahme der Hamburger Polizei anspringt, ruft auch Kritik hervor. »Die Presse muss sich am öffentlichen Fahndungsaufruf der Polizei nicht bedingungslos beteiligen«, sagt der Berliner Presseanwalt David Geßner dem Evangelischen Pressedienst. Ob man Fotos von mutmaßlichen Straftätern abbilde, unterliege immer »einer sorgfältigen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen auf der einen Seite und der Pressefreiheit sowie dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit auf der anderen Seite«. Aus »presseethischer Perspektive ist das Vorgehen der ›Bild‹-Zeitung grenzwertig«, so Geßner.

Es ist übrigens nicht das erste Mal, dass das Boulevardblatt zur Fahndung nach vermeintlichen G20-Straftätern aufruft. Im Juli zeigte »Bild« ohne Beihilfe der Behörden Einzelfotos von G20-Demonstranten und bekam dafür vom Presserat eine Missbilligung ausgesprochen. Auch jetzt liegen dem Gremium wieder mehrere Beschwerden vor.

Auch der Politikchef der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl, immerhin Jurist und früher Richter sowie Staatsanwalt, fand auf sueddeutsche.de klare Worte für den Internetpranger der Polizei, aus dem sich »Bild« bediente: »Diese Präsentation von echten oder angeblichen Beschuldigten« habe mit Steckbriefen nichts mehr zu tun. Es handele sich um »die umfassende Aufforderung an die Bevölkerung, Hilfssheriff zu spielen«. Auf eine Vielzahl von Menschen, »deren Tat oder Tatbeitrag völlig ungeklärt ist«, würde so zur öffentlichen Jagd geblasen, so Prantl.

Und weil bei Springer solch eine Erinnerung an rechtsstaatliche Prinzipien natürlich nur falsch ankommen konnte, antwortete »Bild«-Chef Julian Reichelt via Twitter: »Achtung, Achtung, eine wichtige Durchsage: Was in Deutschland gesetzeswidrig ist, entscheidet ab sofort die einköpfige Prantl-Kommission für Recht und Verfassung.« Bekanntlich haben »Bild« wie auch deutsche Behörden noch nie Fehler gemacht.

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