Bauer sucht Jäger - den, der den Wolf jagt

Mit den Raubtieren, die aus Polen herüberkamen, kehrte auch die Angst vor ihnen nach Brandenburg zurück.

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Er hat graues Fell, kräftige Pfoten, eine Schulterhöhe von bis zu 90 Zentimetern. Die Rede ist vom Wolf, der in den vergangenen Jahren aus Polen nach Brandenburg zurückgekehrt ist, wo die Population um 1850 nahezu ausgelöscht worden war. »Wölfe haben bei uns keine natürlichen Feinde«, informiert das Landesumweltamt. Dennoch seien sie bei der Wiederbesiedlung ihrer einstigen Lebensräume einer Reihe von Gefahren ausgesetzt. Das Umweltamt nennt den Straßenverkehr. Insbesondere Jungwölfe werden ab und an überfahren.

Auch kommt es vor, dass Wölfe gezielt getötet werden. Das ist zwar illegal, weil die Tiere unter Naturschutz stehen. Aber es stimmt nun einmal nicht ganz, dass die Wölfe in Brandenburg keine Feinde haben. Denn unter den Landwirten haben sie sich inzwischen erbitterte Gegner gemacht, besonders im Unterspreewald, wo sie immer wieder und immer öfter in Viehherden einbrechen und Schafe, Ziegen und Kälber reißen.

Im laufenden Jahr sind 171 Fälle gemeldet worden. Meistens finden die Schafzüchter oder Rinderhalter am Morgen ein oder zwei tote Nutztiere. Im Extremfall summiert sich der Verlust jedoch auf mehr als 30 Exemplare. So waren es am 18. Mai in der Gemarkung Alexanderdorf gleich 33 tote Schafe. Nach Erkenntnissen des Umweltamts leben in Brandenburg 22 Wolfsrudel und drei einzelne Wolfspaare. Die meisten Nachweise stammen aus der südlichen Hälfte des Landes und aus dem Nordwesten.

Am Donnerstag unterschrieb Agrarminister Jörg Vogelsänger (SPD) eine Wolfsverordnung, in der geregelt ist, unter welchen Umständen und mit welchen Mitteln Wölfe vergrault und verscheucht werden dürfen. Wenn nichts anderes hilft, dürften einzelne Tiere oder ganze Rudel eingefangen oder sogar abgeschossen werden - letzteres beispielsweise, wenn die Gefahr nicht mehr abzustreiten ist, dass sie auch Menschen angreifen könnten.

Der Bauernbund hält die Verordnung in der vorliegenden Form jedoch für zahnlos. Die eigenen Vorstellungen sind ganz andere. Demnach hätte in der Verordnung stehen sollen, dass nach einem Wolfsriss ein Jahr lang jeder Wolf abgeschossen werden darf, der sich der betroffenen Viehherde auf weniger als 1000 Meter nähert. Über die Zeitspanne und die Entfernungsangabe hätte der Bauernbund mit sich reden lassen, über das Prinzip nicht.

Dieses Prinzip hält das Agrarministerium jedoch für indiskutabel, weil mit den EU-Naturschutzbestimmungen nicht vereinbar. »Damit sind wir gescheitert«, beklagt der Bauernbund. »Aber wir wollen nicht aufgeben«, kündigt Landesgeschäftsführer Reinhard Jung an. Er fürchtet, die schnell wachsende Wolfspopulation werde bereits in wenigen Jahren 1000 Exemplaren erreichen - und dies könne dann nicht mehr zurückgedreht werden. Jung will nicht den Teufel an die Wand malen, schließt aber nicht aus, dass die Wölfe irgendwann ein Kind angreifen. Ihre Beute seien kleine Säugetiere und ein Kind wäre für sie nichts anderes. Die Rückkehr des Wolfes nennt Reinhard Jung verbittert »ein Konjunkturprogramm für die Massentierhaltung«. Denn die riesigen Viehbestände in den Ställen sind vor dem Wolf durch Mauern zuverlässig geschützt. Es trifft dagegen vor allem Biobauern, die ihre Tiere das ganze Jahr über rund um die Uhr auf der Weide grasen lassen. Entnervt von den zunehmenden Wolfsübergriffen, stünden einige betroffene Landwirte kurz davor, die Tierhaltung aufzugeben, sagt Jung.

Zwar zahlt das Agrarministerium eine Entschädigung. 76 531 Euro sind im laufenden Jahr bewilligt worden. Doch viele Landwirte melden ihre Schäden schon gar nicht mehr, wird im Unterspreewald und anderswo verraten - weil die gezahlte Summe jeweils vergleichsweise gering sei und weil manche Bauern lieber heimlich versuchen, die Wölfe zu erwischen.

»Das Neuland, das der Minister mit seiner Verordnung betreten hat, ist bei Licht betrachtet sumpfiger Boden«, urteilt Landesbauernpräsident Henrik Wendorff. Vogelsänger sei darin stecken geblieben.

Biobauer Frank Michelchen, dem Wölfe mehrere Kälber gerissen haben, appelliert an seine Kollegen durchzuhalten: »Den Weidetierhaltern, die 365 Tage im Jahr, und auch in der Heiligen Nacht, bei ihren Herden sind, rufe ich zu: ›Fürchtet Euch nicht! Wehrt Euch gegen diese verantwortungslose Politik!‹«

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