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- Nach den G20-Protesten
Gemeinsam gegen die G20-Repression
Razzien, Öffentlichkeitsfahndung, Prozesse: Die linken Gruppen in der Hansestadt stehen im Fokus der Polizei. Können sie ihre Differenzen überwinden?
Am frühen Morgen des 5. Dezember 2017 klingelt es an der Haustür von Halil S. im Westen von Hamburg. Hausdurchsuchung - so wie es zeitgleich in 22 anderen Objekten in der gesamten Bundesrepublik geschieht. Die Polizist_innen konfiszieren Handy, Laptop, Speichermedien. Halil war am 7. Juli Teil des Demozugs am Rondenbarg und ist bei der Flucht vor der Polizei vier Meter von einer Mauer in die Tiefe gestürzt. »Ich kam ins Krankenhaus und nicht in die GeSa. Ich war wegen der Verletzungen haftunfähig«, erzählt er knapp fünf Monate später. Das war vorerst sein Glück, fast 60 der insgesamt 200 Demonstrierenden wurden verhaftet. Der Vorwurf: Schwerer Landfriedensbruch.
Halil ist eines der bekannteren Gesichter des Hamburger Vereins Roter Aufbau. Die kommunistische Gruppe schöpft ihr Selbstverständnis aus Marxismus und Leninismus und sieht ihr Ziel in der »revolutionären Praxis« dieser Lehren. Bereits kurz nach der jüngsten Razzia - bei Halil war es schon die zweite in diesem Jahr, im Umfeld des Vereins selbst die dritte - formierte sich eine Solidaritätsdemo. Es war nicht die erste ihrer Art und wird wohl auch nicht die letzte bleiben. Denn in einer Sache übt die linke Szene der Hansestadt derzeit den Schulterschluss: Die Repressionen gegen ihre Mitglieder seitens der Polizei möchte sie nicht hinnehmen.
Die Organisator_innen der Solidaritätskampagne »United We Stand« kümmern sich nicht nur um Soliveranstaltungen in Hamburg, sondern ebenso um die Belange der G20-Gefangenen und Angeklagten: Geld sammeln, Anwälte bereitstellen, Infoveranstaltungen organisieren. »United We Stand« schafft dabei etwas, was in der linken Szene Hamburgs nicht selbstverständlich ist: Es vereint Anhänger_innen unterschiedlichen Ideologien und Strömungen unter einem Dach.
Denn eigentlich gibt es viele Bruchlinien, an denen entlang sich die linken Gruppen der Stadt entzweien. Manche arbeiten rein theoretisch, andere sehen ihre Aufgabe im militanten Aktionismus, Antiimperialisten können nicht mit Antideutschen - es ist oft schwierig. Viele Gruppen kochen da bestenfalls ihr eigenes Süppchen. So kommt es beispielsweise zur Situation, dass der Rote Aufbau keine eigenen Räume mehr hat, nachdem die Polizeirazzia in den Vereinsräumen zur Kündigung des Mietvertrags geführt hat. »Es gäbe ja genügend linke Kulturzentren mit Räumen. Aber dort hat man oft ein Problem mit uns. Wir seien zu autoritär, Kommunisten und so«, sagt Halil S.
Vor derlei Uneinigkeit waren auch die Tage vor und während G20 im Juli nicht gefeit - und doch bewirkte der Verlauf des Gipfels ein Zusammenrücken. »Nicht die offizielle Gipfelinszenierung, sondern die Proteste dagegen haben die Bilder bestimmt. Das ist auch deswegen gelungen, weil unterschiedlichste politische Gruppen spektrenübergreifend ein gemeinsames Protestziel verfolgt haben«, heißt es in einem Statement der Roten Flora, die sich ebenfalls an der Kampagne »United We Stand« beteiligt. »Betroffen waren gestern einige, gemeint sind wir alle«, so die Rotfloristen am Tag nach den Razzien.
Das Gefühl, gerade jetzt zusammenstehen zu müssen, verstärkt sich mit den Repressionsmaßnahmen der Polizei. »Es geht um den Rettungsversuch der Polizei am Rondenbarg, nicht als brutal und in geschlossener Formation agierende gewalttätige Horde in dem Verfahren gegen Fabio dazustehen«, heißt es in einer Pressemitteilung von »United We Stand« zu den Razzien und der Öffentlichkeitsfahndung rund um G20. Es sind also die aus ihrer Sicht völlig überzogenen staatlichen Maßnahmen, die der linken Szene an Elbe und Alster zumindest für einen kurzen Moment ein Gefühl der Geschlossenheit geben, auch wenn ideologische Barrieren weiterhin bestehen.
Ein kleiner Hoffnungsschimmer liegt indes ausgerechnet in der Popkultur: In der Tradition des Panini-Sammelalbums sind die »Riotini«-Sammelalben mit den dazugehörigen Stickerpäckchen momentan der große Renner in den linken Kulturzentren Hamburgs. Die Sticker zeigen Szenen aus den Tagen des Gipfels: geplünderte Geschäfte, Straßensperren, Transparente, Graffitis. Sogar Tauschabende hat es schon gegeben. Auch bei diesen setzt man sich gerne zusammen an einen Tisch.
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