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»Die Tournee kann man nur bedingt planen«

Bundestrainer Werner Schuster über seine favorisierten Skispringer und das Besondere der Vierschanzentournee

  • Lars Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Nach Andreas Wellinger im Vorwinter ist nun auch noch Richard Freitag in die Rolle des Siegspringers geschlüpft. Stehen die Chancen auf einen deutschen Gesamtsieg bei der Vierschanzentournee diesmal so gut wie noch nie in Ihrer Amtszeit?
Richard Freitag ist ein Riesengeschenk. Er schöpft endlich stabil sein Potenzial aus. Besonders schön finde ich, dass Richard und Andreas so gut miteinander auskommen. Sie respektieren und pushen sich sportlich gegenseitig. Das ist genau der Spirit, auf den ich mein Team eingeschworen habe. Ich habe ihnen gesagt: Wir schaffen es nur zusammen, wenn Severin Freund nicht da ist. Aber in all den Jahren habe ich eins gelernt: Die Tournee kann man nur bedingt planen. Jeder Topspringer kommt in diesen zehn Tagen auf vier Schanzen mal in eine schwierige Situation. Und wer die am besten bewältigt, gewinnt am Ende. In diesem Winter kommt noch erschwerend hinzu, dass zwischen dem letzten Weltcupspringen in Engelberg und dem Tourneeauftakt in Oberstdorf fast zwei Wochen liegen. Da kann auch bei der Konkurrenz viel passieren. Eins steht aber fest: Wir haben diesmal eine grandiose Situation mit zwei Trümpfen. Das war so nach dem Ausfall von Severin beim besten Willen nicht zu erwarten.

Aber jetzt wird ein immenser Druck von Medien und Öffentlichkeit entstehen, schließlich gehen Freitag und Wellinger als die beiden Besten im Gesamtweltcup in die Tournee und wecken Hoffnungen auf den ersten deutschen Gesamtsieg seit 16 Jahren…
Das ist doch eine grandiose Situation. Druck haben wir sowieso die ganze Zeit, und ich gehe lieber so in diese sechs intensiven Wochen mit der Tournee der Skiflug-WM in Oberstdorf und den Olympischen Spielen. Irgendwann geht jede Serie mal zu Ende, auch so eine Unserie wie die der deutschen Springer bei der Tournee. Die Jungs haben in den vergangenen Jahren viel Lehrgeld bezahlt, aber sie sind reifer geworden. Andreas Wellinger hat schon im vergangenen Jahr mit drei Medaillen bei der WM bewiesen, was er bei Großereignissen leisten kann. Richard Freitag war in den letzten sechs Jahren fünfmal unter den Top Ten bei der Tournee. Er kann die Tournee. Und wenn Markus Eisenbichler noch seine Form stabilisiert und locker bleibt, dann kann er auch ganz vorn mitmischen.

Zur Person
Werner Schuster hat gut lachen. Der 48-jährige Österreicher tritt als deutscher Bundestrainer mit den beiden besten Springern der bisherigen Saison bei der 66. Vierschanzentournee an. Richard Freitag und Andreas Wellinger schüren die Hoffnungen auf den ersten deutschen Gesamtsieg seit 16 Jahren. Mit Schuster sprach Lars Becker über Qualitäten und Unterschiede seiner beiden Topflieger, besonderen Druck und was ihm persönlich ein Tourneetriumph bedeuten würde.

Was unterscheidet ihre beiden Vorflieger Freitag und Wellinger?
Andreas ist größer, deshalb muss er vor allem über seine langen Hebel und die Harmonie im Bewegungsablauf kommen. Er ist ein sehr begabter Springer, bringt eine gewisse Leichtigkeit mit und hat sich in einem Reifeprozess zum echten Profi entwickelt. Richie kommt sportlich eher von der dynamischen Seite, hat seinen Sprung aber in letzter Zeit adaptiert. Er nimmt viel mehr Geschwindigkeit in den Flug mit und kann deshalb nun auf allen Schanzen vorn mit dabei sein. Richard ist feinfühlig, akribisch und sensibel. Er muss die Leichtigkeit finden und loslassen - das ist ihm in diesem Winter bislang so gut wie nie zuvor gelungen.

War sein Umzug aus der sächsischen Heimat nach Oberstdorf ein Schlüssel für den Erfolg?
Die Deutschen neigen immer dazu, alles hinterfragen und zerreden zu wollen. Alle Details passen jetzt einfach zusammen. In Sachsen wurde auch hervorragende Arbeit geleistet, aber natürlich ist er jetzt in Oberstdorf auch in Sachen Material mehr im Epizentrum und hat auch in der Trainingsgruppe ständig den Vergleich mit den Besten. Zudem spart er sich viel Zeit im Auto. Aber entscheidend ist seine persönliche Weiterentwicklung, da ist viel mehr Stabilität drin.

Glauben Sie, dass Richard Freitag auch mit der neuen Favoritensituation gut umgehen kann?
Das ist jetzt die nächste Herausforderung, die er lösen muss. Sein großer Trumpf ist das Selbstvertrauen, was er sich erarbeitet hat.

Wer gehört für Sie denn noch zum Favoritenkreis bei dieser Tournee?
Auf jeden Fall Stefan Kraft. Er hat die Tournee ja schon mal gewonnen, genau wie Kamil Stoch, der immer besser in Form kommt. Den Norweger Daniel Andre Tande habe ich auch auf der Rechnung.

Wie viel würde Ihnen ein Sieg einer Ihrer Springer bei der Vierschanzentournee denn persönlich bedeuten?
Es wäre schon schön, es einmal erleben zu dürfen. Das ist jetzt mein zehnten Jahr im deutschen Team, und es war uns nie vergönnt. Vor zwei Jahren war Severin einmal nahe dran, und dann haben sie ihm Peter Prevc vor die Nase gesetzt. Ich bewerte das Projekt Deutschland sowieso als Erfolg, aber es wäre schon cool, mal in Bischofshofen beim Tourneefinale feiern zu können. Wie wichtig diese Vierschanzentournee ist, habe ich neulich erst wieder beim Weltcup in Russland mitbekommen: Da hat mir am Aeroflot-Schalter jemand erzählt, dass er um den Jahreswechsel immer die Tournee im Fernsehen anschaut. Von Olympia oder der WM war keine Rede. Einen Sieg im Weltcup bekommt nur die Community mit, den Triumph bei der Tournee alle.

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