Klassenfrage zieht in #metoo-Feminismus ein

»Time's Up«-Kampagne gegen sexuelle Belästigung wird auch im migrantisch-proletarischen Milieu Kaliforniens geführt / 15 Millionen Euro für Rechtshilfe gesammelt

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 5 Min.

In den USA bahnt sich eine klassenübergreifende Zusammenarbeit von Frauen gegen sexuelle Belästigung und sexualisierte Gewalt an. Über 300 berühmte Schauspielerinnen und Produzentinnen in Hollywood launchten zum Jahreswechsel eine breite Initiative, die für Konsequenzen nach der #metoo-Debatte sorgen soll. »Time’s Up« (»Die Zeit abgelaufen«) soll am kommenden Wochenende bei der Verleihung der Golden Globes in Los Angeles vorgestellt werden. Als Unterstützerinnen gelten schon jetzt nicht nur Meryl Streep, Reese Witherspoon, Natalie Portman oder Cate Blanchett, sondern auch die »Alianza Nacional de Campesinas« (Nationaler Zusammenschluss von Landarbeiterinnen), eine Organisation von lateinamerikastämmigen Farmarbeiterinnen in den USA.

»Dear Sisters«, heißt es in einem Aufruf der Schauspielerinnen an die migrantische Community in Kalifornien, »wir erkennen unsere Privilegien und den Umstand an, dass wir Zugang zu riesigen Plattformen haben, um unsere Stimmen zu verstärken.« Dies habe dazu geführt, dass für die Probleme mit sexueller Belästigung in der Filmindustrie Aufmerksamkeit geschaffen werden konnte, die den Problemen der Landarbeiterinnen bislang nicht zugekommen sei. Jede Angestellte in der Landarbeit, die von ihrem Chef sexuell belästigt wurde, jede Hausangestellte, die versuchte, einer sexuellen Geste zu entkommen, und jede Kellnerin, die von einem Kunden angefasst wurde und von der erwartet wurde, darauf mit einem Lächeln zu antworten, soll nun wissen: 300 Hollywood-Schauspielerinnen unterstützen sie.

Der Aufruf wurde in »La Opinion« abgedruckt, einer spanischsprachigen Zeitung, die in Kalifornien erscheint. Verbreitet wird die Kampagne zudem von der »Alianza Nacional de Campesinas«, die den Frauen während der #metoo-Debatte einen Solidaritätsbrief geschrieben und dabei auf die Situation von rund 700.000 Farmarbeiterinnen aufmerksam gemacht hatten.

Privilegierte sexuelle Belästigung?

Welche Rolle das soziale Milieu bei sexueller Belästigung und sexualisierter Gewalt spielt, ist noch nicht erforscht – auch in Deutschland nicht. Die letzte repräsentative Studie zu Gewalt an Frauen, die auch sexuelle Belästigung umfasst, wurde vom Bundesfamilienministerium 2004 vorgestellt. Sie zeigt hinsichtlich der Häufigkeit von sexueller Belästigung und Gewalt gegen Frauen keinen Unterschied zwischen sozialen Milieus oder Bildungsgrad auf – weder bei den Opfern, noch bei Tätern. Die Autoren der Studie machen für sexuelle Gewalt in Partnerschaften eher Faktoren wie Trennungsphasen, Arbeitslosigkeit, Alkoholismus und ungleiche Machtverteilung zwischen Mann und Frau aus.

Die repräsentative Umfrage über sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz der Antidiskriminierungsstelle von 2015 hingegen fragt nicht nach Unterschieden zwischen sozialen Milieus. Es wird lediglich festgehalten, dass Männer eher von Kollegen auf gleicher Ebene und Frauen eher von Männern auf höherer Ebene belästigt werden.

Hinweise für soziale Unterschiede sind lediglich in der EU-Studie zu Gewalt gegen Frauen aus dem Jahr 2014 zu finden: »Sexuelle Belästigung tritt häufiger bei Frauen mit Universitätsabschluss und Frauen in den höchsten Berufsgruppen auf«, heißt es hier. So hätten 75 Prozent der Frauen in Führungspositionen und 74 Prozent der Frauen mit Fachberufen sexuelle Belästigung erlebt, jedoch nur 44 Prozent der Frauen in der Berufsgruppe »gelernter ArbeiterInnen«. Die AutorInnen der Studie warnen jedoch davor, aus diesen Zahlen falsche Schlüsse zu ziehen: Der Grund hierfür könnten auch in der unterschiedlichen Sensibilisierung für sexuelle Belästigung liegen.

Unterschiedliche Widerstandsmöglichkeiten

Die Frauenrechtsorganisation »Terre des Femmes« weist jedoch auf »nd«-Nachfrage darauf hin, dass die Handlungsmöglichkeiten von Frauen in stark prekarisierten Jobs eingeschränkter sind als in höheren gesellschaftlichen Positionen. »Wo das Machtgefälle und die Abhängigkeit am größten ist, besteht auch die größte Gefahr der Ausbeutung und Diskriminierung«, sagt Birte Rohles, die in der Organisation zu sexualisierter Gewalt arbeitet. »Menschen, die über weniger Ressourcen verfügen, sei es an Bildung, Geld oder Einfluss, haben auch weniger Möglichkeiten, sich zu Wehr zu setzen.« Somit seien Frauen in starken Abhängigkeitsverhältnissen am stärksten der Gefahr ausgesetzt, ausgebeutet zu werden – also Frauen in prekären Beschäftigungsverhältnissen, und dort »auch besonders MigrantInnen, die häufig über weniger Sprachkenntnisse und auch über weniger Wissen verfügen, welche Rechte ihnen zustehen und wo sie Hilfe erhalten können.«

»Know your rights«, heißt daher auch eine zentrale Rubrik der »Time’s Up«-Kampagne: »Kenne deine Rechte«. Dort stehen nicht nur Tipps, wie man sich im Fall einer sexuellen Belästigung oder als Beobachter eines solchen Vorfalls verhalten kann. Verlinkt sind auch Hilfsangebote sowie ein eigens eingerichteter Fonds zur Rechtshilfe, sollte die Betroffene sich zu einer Anzeige entscheiden. 15 Millionen Dollar sollen gesammelt werden – am dritten Tag der Kampagne sind schon über 14 Millionen zusammen gekommen. Die finanziellen Voraussetzungen für eine Umverteilung aus Hollywood auf die Felder Kaliforniens sind also gegeben. »Terre des Femmes« räumt aber selbst ein, dass migrantisch-prekarisierte Frauen die Zielgruppe repräsentieren, die auch die Frauenrechtsorganisation am schlechtesten erreicht. Dennoch sei der Hilfsfonds gegen sexuelle Belästigung jetzt »genau das Richtige«.

Rohles weist zudem darauf hin, dass sexuelle Belästigung in allen Milieus vorkommt, wie #Metoo gezeigt habe – und macht zudem auf eine bislang kaum beachtete Opfergruppe aufmerksam: »Besonders stark betroffen von häuslicher Gewalt und von sexuellen Belästigungen sind im übrigen Frauen mit Behinderungen.«

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