Rund 65 Prozent blicken optimistisch in die Zukunft

Statt auf Politik vertrauenlaut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung immer mehr jüngere Menschen im Nahen Osten und in Afrika auf Familie und Religion

  • Lesedauer: 4 Min.

Tunis. Die Mehrzahl der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im Nahen Osten und Nordafrika blickt zuversichtlich in die Zukunft. Trotz wirtschaftlicher Benachteiligung, fehlender politischer Beteiligung und einem allgegenwärtigen Gefühl von Unsicherheit sehen rund 65 Prozent der jungen Generation die Zukunft optimistisch. Das ist das Ergebnis einer Studie im Auftrag der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES). Statt auf die Politik vertrauten immer mehr Jüngere auf traditionelle Werte wie Familie und Religion.

»Als junger Mann bin ich gezwungen, hart zu arbeiten«, erzählt etwa ein 26-jähriger Palästinenser, der in der Studie Samit genannt wird. »Die Zukunft ist unklar und instabil, doch ich hoffe auf bessere Bedingungen.« Die Untersuchung widmet sich allen wichtigen Lebensbereichen der jungen Menschen in der Arabischen Welt und schaut auf Lebensbedingungen, Bildung und das soziale Umfeld. Trotz des generellen Optimismus beschäftigen die jungen Menschen aber aktuell auch viele Probleme.

»Es besteht kein Zweifel, dass die Umstände, die unsere Leben heute bestimmen, härter sind als jemals zuvor«, zitieren die Autoren der Studie eine 17-jährige Schülerin mit Namen Sara aus Ägypten. »Ich glaube, die früheren Generationen hatten im Vergleich zu uns ein angenehmeres Leben.« Die Zeiten seien stabiler gewesen, heute sei das Leben von einem Verlust an Sicherheit geprägt, berichtet die Schülerin. Der 29-jährige Muatas aus dem Kairoer Vorort Giseh ergänzt: »Gegenwärtig hat die Jugend keine Ansprüche, denn wir finden keine Arbeit. Wie können wir also eine Familie gründen, leben, essen, trinken? Wir sind überhaupt nicht sicher.«

Im Sommer und Winter 2016/2017 wurden den Autoren zufolge knapp 9000 junge Menschen zwischen 16 und 30 Jahren für die Studie »Zwischen Ungewissheit und Zuversicht« befragt. Die Umfragen und Interviews wurden in acht Ländern im Nahen Osten und Nordafrika durchgeführt, darunter Marokko, Tunesien, Ägypten, Bahrain und Jemen. Nach UN-Angaben sind rund 30 Prozent der Menschen in der Arabischen Welt zwischen 15 und 29 Jahren alt.

Viele der Befragten schätzen der Studie zufolge die Entwicklungen in ihren Ländern nach den Umbrüchen 2011 inzwischen negativ ein. Statt um politische Themen wie Meinungsfreiheit gehe es den meisten jungen Menschen um die Sicherung ihrer Grundbedürfnisse und um Gewaltfreiheit. Politiker werden überwiegend als unzuverlässig und korrupt angesehen. Ein junger Mann aus Marokko wird mit den Worten zitiert: »Politik in Marokko ist größtenteils eine Farce, Parteien können nichts verändern. Die Programme aller Parteien sind identisch.«

Selbst in Ägypten und Tunesien - das als Musterland des sogenannten Arabischen Frühlings gilt - sprechen sich nur noch knapp über 50 Prozent der befragten jungen Menschen für ein demokratisches System aus. In Marokko, Jordanien und im Jemen sind es sogar nur etwas mehr als 20 Prozent der Befragten. Stattdessen wünschen sich auch viele einen starken Mann an der Spitze des Staates oder präferieren, wie in Jordanien (18 Prozent) oder dem Jemen (17 Prozent), einen religiösen Staat auf der Grundlage der Scharia.

Die derzeitigen autoritären Machtstrukturen in der Mehrzahl der Länder verhinderten, dass die jungen Menschen ihre Talente und ihr Wissen in die Gestaltung der Gesellschaft wirksam einbringen könnten, so die Studienautoren. Die enttäuschten Hoffnungen der Umbrüche führten dazu, dass knapp zehn Prozent fest zur Migration entschlossen seien. Die Menschen seien hin- und hergerissen zwischen immer wieder auftauchenden Abwanderungsgedanken und der Verbundenheit mit ihren Familien und ihrer Heimat.

Denn gefragt nach den Werten, die den jungen Menschen in der Arabischen Welt wichtig sind, antwortete ein Großteil: die Familie. Hinzu komme die Religion. So sehen die Autoren auch einen leichten Anstieg der Religiosität im Vergleich zu der Zeit vor dem sogenannten Arabischen Frühling. »Während die Generation der 1960er-Jahre an die staatlichen Utopien glaubte und von der wirtschaftlichen Prosperität profitierte, ist die heutige Generation in ihrem Sozialaufstieg blockiert«, schreibt der Marburger Universitätsprofessor Rachid Ouaissa vom Centrum für Nah- und Mitteloststudien. »Die zu beobachtende Präsenz der Religion bei den Jugendlichen scheint eine Art Ersatz für die mangelnden Aufstiegsmöglichkeiten zu sein.«

Religion diene demnach aber nicht mehr politischen oder ideologischen Zwecken, sondern sei für das individuelle Wohlergehen wichtig. Spiritualität werde zum Fluchtort und zur Hoffnungsgeberin einer Welt, die kulturell, politisch, ökonomisch und sozial durcheinander geraten sei. Ouaissa folgert daraus: »Vielleicht erleben wir gerade den Beginn eines laizistischen Zeitalters in der arabischen Welt.«

Trotz aller negativen Entwicklungen und Probleme, mit denen die Arabische Welt derzeit kämpft, interpretieren die Autoren der Studie die Ergebnisse als positiv. Die Ergebnisse der Untersuchung zeichneten das Bild einer Jugend, die besser gebildet sei als jemals zuvor, die sich ihrer Heimat stark verbunden fühle, die über eine positive Lebenseinstellung verfüge und die bereit sei, Verantwortung zu übernehmen und sich gesellschaftlich zu engagieren. dpa/nd

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