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Arbeit soll nur halbes Leben sein
Gewerkschaft fordert Verkürzung der Arbeitszeit mit Ausgleich / Unternehmen lehnen das ab
Karriere ist weniger wichtig, Spitzengehälter braucht es für die meisten nicht, aber für ein auskömmliches Leben auch in Großstädten soll die Entlohnung reichen.
Trotz eines Produktivitätssprungs seit der Jahrhundertwende ging der Trend in der Arbeitswelt allerdings bisher in eine andere Richtung. »Wir arbeiten alle immer mehr. Ohne Ausnahme«, sagte die Arbeitssoziologin Sabine Pfeiffer der »Süddeutschen Zeitung«. Bei einem größeren Technologiesprung komme es auch darauf an, wie die Gewinne der Produktivitätssteigerung verteilt würden. »Gerade profitieren nur wenige, wir haben eine Verteilung von unten nach oben und von oben nach ganz oben«, so die 51-jährige Professorin der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Doch die verzweifelte Suche vieler Unternehmen nach Fachkräften rückt eine Wende zumindest für qualifizierte Arbeitnehmer in den Bereich des Möglichen: »Weil der Arbeitsmarkt so gut läuft, ist es für Arbeitnehmer realistischer geworden, ganz persönliche Dinge in den Vordergrund zu stellen. Gerade junge Leute wollen mehr Zeit«, sagte Hilmar Schneider vom Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit der »Zeit«.
»Verkürzte Vollzeit« nennt die Gewerkschaft IG Metall, was sie sich für die nächste Tarifrunde ausgedacht hat. Zum ersten Mal seit fast 15 Jahren fordert die Gewerkschaft reduzierte Arbeitszeit für die rund vier Millionen Beschäftigten der Metall- und Elektrobranche. Wer will, soll über einen Zeitraum von zwei Jahren die Arbeitszeit von 35 auf bis zu 28 Wochenstunden reduzieren dürfen.
Nicht alle sollen dafür jedoch einen finanziellen Ausgleich bekommen. Beschäftigte, die sich um Kinder unter 14 Jahren kümmern oder Angehörige pflegen, sollen einen Ausgleich von 200 Euro im Monat erhalten, wenn sie ihre Arbeitszeit um mindestens 3,5 Wochenstunden verkürzen. Schichtarbeiter, die gesundheitlich besonders belastet und in ihrem sozialen Leben beeinträchtigt sind, sollen 750 Euro im Jahr erhalten, wenn sie kürzer treten. Die Zuschüsse kämen bei geringer Verdienenden einem Lohnausgleich nahe. Die Forderung nach einer Lohnerhöhung von sechs Prozent für alle ist dagegen vergleichsweise moderat.
Die Arbeitgeber wollen über die Forderung zur Arbeitszeit aber nicht einmal verhandeln. »Eine Stilllegeprämie für Fachkräfte« nennen sie den »faktischen Einstieg in die 28-Stunden-Woche«. Ohnehin lähme der Fachkräftemangel die Unternehmen der Elektro- und Metallbranche. Die Arbeitgeber befürchten, dass bei Erfüllung der Gewerkschaftsforderung Hunderttausende Beschäftigte zusätzlich in die Teilzeit abwandern würden. Entweder brauche man dann 180 000 zusätzliche Beschäftigte oder nicht anspruchsberechtigte Beschäftigte müssten rund vier Stunden mehr in der Woche arbeiten.
Angesichts erster Warnstreiks der IG Metall seit Dienstag untermauerten die Unternehmen nun per Gutachten ihre Position. Demnach ist ein Arbeitskampf für die vorliegenden Forderungen unzulässig. Der Tarifkonflikt könnte demnach auch vor Gericht ausgetragen werden. Im Gutachten, das der Arbeitsrechtler Clemens Höpfner aus Münster erstellt hat, heißt es, ein Streik, der die Durchsetzung auch nur einer rechtswidrigen Tarifforderung zum Ziel habe, sei »insgesamt unzulässig«.
Dem Gutachten zufolge diskriminiert der geplante Ausgleich für die Arbeitszeitverkürzung jene Beschäftigten, die schon in Teilzeit arbeiten und dafür nichts bekommen. Die Arbeitgeber haben sich nicht festgelegt, ob und wie sie rechtlich gegen die für die kommende Woche angekündigten Warnstreiks vorgehen wollen. Die Gewerkschaft hält ihre Forderung für rechtmäßig. Die Unternehmen schöben rechtliche Einwände vor, um sich vor der inhaltlichen Debatte zu drücken, hieß es gegenüber »nd«. Man freue sich, dass die Unternehmen endlich die schwierige Lage der Teilzeitbeschäftigten erkannt hätten, und würde gern zusammen mit den Betrieben eine konstruktive Lösung für alle Teilzeitbeschäftigten erarbeiten, so die IG Metall weiter.
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