Gelernt ist gelernt

  • Heiko Werning
  • Lesedauer: 3 Min.

Während ich verreist war, übernahm es Patrizia, unsere Wohnung zu hüten. Da wir über einen kleinen Innenhofgarten verfügen, sie aber nur über einen Balkon, wollte sie das Housesitting auch gleich nutzen, um Freunde zu einer Grillparty einzuladen. Beim Spätkauf um die Ecke hatte sie ein paar Kisten Bier eingekauft und stand damit nun vor unserer Wohnungstür - und kam nicht herein. Irgendein Irrer hatte mein Türschloss mit Sekundenkleber ruiniert. Nach einigen vergeblichen Versuchen, Hilfe zu rufen, gab sie schließlich deprimiert auf und brachte die Getränkekisten zurück zum Späti.

Der Chef dort sah sie verblüfft an. »Was’n los? Will keiner kommen zu deiner Party?« »Nee«, antwortete Patrizia resigniert, »im Gegenteil. Da kommen in einer Stunde zehn Leute, und ich muss sie alle wieder nach Hause schicken, weil wir nicht in die Wohnung kommen, und wenn wir nicht in die Wohnung kommen, kommen wir auch nicht in den Garten zum Grillen.« »Die Leute kommen zur Party und du willst sie nach Hause schicken? Das kannste doch nicht machen!« Er wirkte geradezu aufgebracht. »Aber wir kommen doch nicht rein!«, verteidigte Patrizia sich. Der Spätverkäufer guckte nachdenklich: »Du gehörst doch zu dem Dicken, oder?« Es herrscht ein vertraulicher Umgangston bei uns im Block, und er ist ein guter Beobachter. »Ja, aber der ist verreist, und ich passe solange auf die Wohnung auf. Aber das Schloss ist kaputt, und Schlüsseldienst und Polizei wollen uns nicht reinlassen, weil wir keine Zustimmung von ihm haben.« »Aber du hast doch Schlüssel! Sehen die doch! Hättest du doch nicht, wenn er nicht wollte, dass du in die Wohnung gehst!« Patrizia zuckte mit den Schultern: »Aber das reicht denen nicht. Nicht mal die Postvollmacht reicht denen.« Der Späti-Chef dachte kurz nach, dann sagte er: »Komm mit, ich mach dir auf.« Patrizia sah ihn verblüfft an. »Keine Sache, Mann!«, sagte er, »Kauf einfach eben neues Schloss bei Real, kann ich dir gleich einbauen. Inner halben Stunde, OK?«

Er brauchte dann keine fünf Minuten, um das Schloss zu knacken und auszutauschen. »Machen Sie das öfter?«, fragte Patrizia erstaunt. »Ach, weißte, früher, als ich noch kein Spätkauf hatte, habe ich anders Geld verdient, vastehste? Aber keine Sorge, mach ich nich mehr jetzt. Aber hey - gelernt ist gelernt!« Sie betraten gemeinsam die Wohnung. »Außerdem war das Schloss scheiße. Soll der Dicke mal froh sein, dass wir ihm jetzt ein neues eingebaut haben. Ist besser, ist sicherer. Musstu vorsichtig sein heutzutage. Gibt viele schlechte Leute da draußen!«

Und ich überlege jetzt, ob es nicht sinnvoll wäre, wenn ich einen Zweitschlüssel zur Wohnung im Spätkauf hinterlege. Dann kann man auf den zurückgreifen, falls wir uns mal aussperren oder wenn in unserer Abwesenheit mal jemand in die Wohnung muss. Wenn der Spätkaufmann sowieso jederzeit rein- und rausgehen kann, wie es ihm passt, könnte man das ja auch gleich mit dem Praktischen verbinden. Das Leben ist schließlich schon kompliziert genug.

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