Wildpferde und Büffel an der A10
Pankow-Mühlenbecker Bürgerinitiative fordert Unterstützung für Naturschutzprojekt
Was an den kleinen Konik-Pferden, einer osteuropäischen Züchtung, die dem ausgestorbenen Wildpferd ähnelt, überrascht, ist ihre Zutraulichkeit. Es sind junge Tiere, wenige Monate alt, die im Naturschutzgebiet an den Schönerlinder Teichen in Mühlenbeck (Oberhavel) über den Drahtzaun linsen. Die Kälte und das Rumoren auf dem nahen Berliner Ring, der jenseits eines abgeernteten Maisfeldes verläuft, scheint den mannshohen Tieren nichts auszumachen.
»Wir haben hier neun Koniks«, sagt Lucien Weber von der Bürgerinitiative »Pro Weidetiere«, die sich für den Erhalt des über die Region hinaus bekannten Waldweideprojekts nördlich der Stadtgrenze einsetzt. »Schade nur, dass sich die Wasserbüffel nicht sehen lassen. Die haben gerade Nachwuchs bekommen. Zur Herde gehören vier Kühe, zwei Bullen, ein Ochse und seit Sonntag zwei Kälbchen.«
- Das »Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben Rieselfeldlandschaft Hobrechtsfelde« rund um das einstige Berliner Stadtgut Hobrechtsfelde lief 2009 bis 2015 und wurde mit über 3,7 Millionen Euro aus diversen Töpfen gefördert.
- Für den Schwerpunkt Waldweide wurden neun Areale auf 835 Hektar ausgewählt – zumeist aufgeforstete ehemalige Rieselfelder, die den Berliner Forsten gehören.
- Für Schaffung und Pflege einer halboffenen Weidelandschaft wurden Robustrinder, darunter Galloways, sowie Konik-Pferde und Wasserbüffel eingesetzt. Betreten werden können die Weideflächen, die von der Agrar GmbH Gut Hobrechtsfelde bewirtschaftet werden, über 50 Parktore.
- Projektträger war der Förderverein des Naturparks Barnim, unter den Partnern waren die dem Senat unterstehenden Berliner Forsten und Stadtgüter, die Naturparkverwaltung, die Agrar GmbH, die Senatsverwaltung für Umwelt, die Hochschule für Nachhaltige Entwicklung Eberswalde, Kreise, Kommunen.
- Auf 95 Hektar im Naturschutzgebiet Schönerlinder Teiche, das den Berliner Stadtgütern gehört, weiden Koniks und Wasserbüffel. tm
Versammelt haben sich gleich mehrere Aktivisten. Martina Neitzel, Sprecherin der Initiative, und Horst Meyer, der sich um die Baumpaten kümmert, sind gekommen. Und Axel Lüssow, der für die Grünen im Umweltausschuss der Bezirksverordnetenversammlung Pankow sitzt und auch Sprecher der AG Tierschutzpolitik der Partei ist. Sie alle eint zunächst einmal die Sorge um das Wohl der in dieser Gegend ziemlich exotischen Tiere, denn der Agrarbetrieb, der die Weiden auf den einstigen Rieselfeldflächen betreibt, handelt nun einmal nach privatwirtschaftlichen Prämissen. So hat er in den vergangenen Jahren die Herden ausgedünnt und vor allem die Hengste herausgenommen. »Dem Unternehmen ist es in erster Linie wichtig, die Bedingungen dafür zu erfüllen, die Flächennutzungsprämie zu erhalten«, sagt Lüssow. »Das heißt: Mindestbesatz an Tieren. Zufütterung, veterinärmedizinische Betreuung, Witterungsschutz und Wartung der Sicherungszäune dagegen verursachen Kosten.« Immerhin hat der Betrieb jetzt frisches Stroh auf die Weide gebracht, auf dem die nicht kälteresistenten Wasserbüffel lagern können.
Laut Betriebsleiter Thomas Schuler hält die Agrar GmbH Gut Hobrechtsfelde, die zum Unternehmen des umtriebigen Thüringer Landwirts Heinrich Bleyl aus Crawinkel gehört, in diesem Winter insgesamt 135 Rinder verschiedener Rassen sowie 60 Pferde auf zwölf Weideflächen. »Wir haben im vergangenen Jahr vier Hengste aus der Herde genommen, um Inzest zu verhindern, im Frühjahr kommen wieder neue Tiere hinzu«, sagt er dem »nd«. Und er ist stolz auf die Wasserbüffel-Herde, die sich allerdings nahe dem Schilfgürtel am Teich verborgen hält. »Zwei der Kühe haben gerade gekalbt, und auch die beiden anderen Kühe sind trächtig«, sagt er. Das Touristische, die Beschilderung etwa, sei nicht Angelegenheit seines Unternehmens. Darum kümmere sich der Naturpark, der da bald wieder aktiv werden wolle.
Axel Lüssow ist seit 2013 mit dem Waldweideprojekt verbunden, kennt alle Entscheidungsträger und jeden Einzelnen, der in der Rieselfeldlandschaft zwischen Mühlenbeck, Karow-Buch, Panketal, Hobrechtsfelde und den Wandlitzer Ortsteilen Schönerlinde und Schönwalde mitredet. Der aus der Gegend um Lüneburg stammende Mittvierziger ist inzwischen wohl mit jedem der Tiere per Du. Lüssow ist leidenschaftlicher Fotograf und mehrmals pro Woche bei den Herden. Er sammelt auch mal Abfall ein, den Besucher weggeworfen haben.
Aus Sicht der »Bürgerinitiative Pro Weidetiere« geschieht zu wenig, um das Waldweide-Projekt langfristig am Leben zu halten. Und da die Verträge für die Bewirtschaftung der Weideflächen 2020 auslaufen, fragen sich deren Mitstreiter, wie es weitergeht mit Deutschlands größter und in der Hauptstadtregion einmaliger Waldweide. Vor allem fehle es an Geld, um das Potenzial für Landschafts- und Tierschutz, den naturnahen Tourismus und besonders die Umweltbildung zu erschließen. Für bedrohlich halten die Aktivisten, dass seit dem erfolgreichen und viel beachteten Projektabschluss im Jahr 2015 kaum noch öffentliche Mittel fließen. Förderung aber bräuchte man für die weitere fachliche Begleitung des Vorhabens, für Monitoring, nationalen und internationalen Austausch und Anreize für die gezielte Weiterentwicklung.
Aus Sicht der Initiative stört zudem die fortgesetzte Verkleinerung der Herden nicht nur das Zusammenleben der Tiere, sondern schadet der Landschaftspflege. All das sei auch für Besucher nicht attraktiv. Zumal in einer Zeit, in der es auch um das Informationszentrum »Gut Hobrechtsfelde« nicht gut bestellt ist, dem es an Geld und einem tragfähigen Besucherkonzept fehlt. Dort, wo das umstrittene Projekt der »Kulturscheune« wie auch der ebenso gescheiterte Kletterpark Besucher anziehen sollten, hat sich zwar ein Ponyhof gehalten. Generell bräuchte die Infrastruktur neue Impulse, ein Leitsystem, feste Öffnungszeiten, Ansprechpartner, Imbiss, Busanbindung, Parkplätze.
Allmählich voran kommt die Erschließung des Schutzgebietes an den Schönfließer Teichen. Die Initiative will mehr Öffentlichkeit schaffen, um etwa mehr Schulklassen die Weidelandhaltung vor den Toren Berlins nahezubringen. Gerade wirbt sie auf der Website für den neuen Foto-Kalender »Wildtiere in und um Berlin 2018«, mit dessen Verkauf sie die Kampagne »Respekt vor dem Pferd« des Kieler Vereins PROVIEH unterstützt.
»Man kann bei uns so viel über das Verhalten der Tiere in der Herde lernen«, sagt Martina Neitzel. Und Axel Lüssow fügt hinzu: »Man findet hier auch ein lehrreiches Beispiel dafür, wie Naturschutz, Weidewirtschaft und konventionelle Landwirtschaft auf benachbarten Feldern unmittelbar nebeneinander stattfinden.«
2010 wurde mithilfe des ZDF der »Löwenzahnpfad« angelegt. Es ist ein Lehrpfad um die Teiche, vom S-Bahnhof Mühlenbeck-Mönchmühle aus in einer Stunde zu bewältigen - inklusive Besuch bei den Koniks und Blick über die bizarre, durch die 1985 stillgelegten Rieselfelder geprägte Landschaft an der A 10. »Im Mai will die Bürgerinitiative zum ›Tag des Löwenzahnpfades‹ einladen«, sagt Lucien Weber. Am Datum werde mit der Gemeinde Mühlenbecker Land gefeilt.
Informationen: www.pro-weidetiere.de Kalender 2018 für 14,90 Euro erhältlich
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