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Besser ohne Technik

Frankreichs Fußball verzichtet nach einigen Pannen vorerst auf Hilfsmittel für Schiedsrichter

  • Julien Duez
  • Lesedauer: 4 Min.

»Made in Germany« genießt im französischen Fußball einen guten Ruf. Das war ein Grund, weshalb das Aachener Unternehmen GoalControl 2015 die Ausschreibung des Ligaverbandes LFP zur Einführung der Torlinientechnologie gewann. Hinzu kam, dass das deutsche Angebot günstiger war als das des britischen Konkurrenten Hawk-Eye. Mit zwei Millionen Euro pro Jahr ist GoalControl immer noch eine Million billiger als das Hawk-Eye.

Das ist immer noch viel Geld. Und dafür kann man auch etwas verlangen. Die Hinrunde der aktuellen Saison in Frankreich zeigte aber, dass niedrige Kosten nicht unbedingt ein Vorteil sind. Bei den Spielen in der Ligue 1 wurden fünfzehn Fehler mit diesem System registriert. Und so hatte die LFP bereits im Dezember die Firma GoalControl - inzwischen vom ehemaligen deutschen Nationalspieler Simon Rolfes übernommen - abgemahnt. Am vergangenen Mittwoch fiel dann im Ligapokalspiel der berühmte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Während des Spiels Amiens SC gegen Paris Saint-Germain traf Mittelfeldspieler Adrien Rabiot gegen die Mannschaft aus der Picardie ins Tor - doch die Uhr von Schiedsrichter Nicolas Rainville vibrierte nicht, zeigte also keinen Treffer an. Genau entgegengesetzt der Fall in Angers beim Spiel gegen Montpellier: Obwohl der Ball die Torlinie nicht überquert hatte, signalisierte das System einen Treffer. »Inakzeptabel«, schimpften die LFP-Funktionäre und kündigten tags darauf an, dass die Torlinientechnik bis auf weiteres ausgesetzt wird.

»Wir wollen den Vertrag natürlich erfüllen. Aber für beide Seiten muss es eine dauerhafte Lösung geben«, reagierte Simon Rolfes. Der Vertrag zwischen seiner Firma GoalControl und der französischen Liga läuft noch bis 2019. Ob er nun gekündigt wird, ist noch unklar. Die Warnung, dass die LFP im Falle weiterer Pannen vom Vertrag zurücktreten könne, wurde jedoch schon im Dezember nach Aachen geschickt.

Welche Fehlerquellen die in Frankreich genutzte Torlinientechnik birgt, hatte Suzana Castaignède schon im Oktober öffentlich gemacht. Dieses System sei »total fehlerhaft«, sagte die ehemalige Mitarbeiterin von GoalControl. Zum Beispiel sei die sogenannte »manual trigger«-Bedienung anfällig. Besonders bei strittigen Szenen in entscheidenden Spielphasen hätte der Videoschiedsrichter, der allein in einem Bus vor dem Bildschirm sitzt, sehr viel Druck, die richtige Entscheidung zu treffen. Verbesserungen wurden versprochen. Aber es änderte sich nichts. Die Kontrolleure am Monitor stünden immer noch auf verlorenem Posten, meinte Castaignède jüngst gegenüber dem Nachrichtenportal »France Info«.

Ist dieses System also ein komplettes Fiasko? »Nein«, sagt Frankreichs Schiedsrichterverbandspräsident Sébastien Desiage: »Die Torlinientechnik ist für die Schiedsrichter ein sehr geschätztes Mittel. Aber seit drei, vier Monaten haben sich Funktionsstörungen gehäuft. Und solche Mängel erschüttern das Vertrauen der Schiedsrichterzunft. Wir gingen von einem Werkzeug aus, das den Schiedsrichtern ihre Aufgabe erleichtern sollte. Nun erweist es sich aber als ein Instrument, das den Referees Probleme macht.«

Verunsicherte Schiedsrichter kann keiner gebrauchen. Ein aktuelles Beispiel: Am Sonntagabend spielte Paris Saint-Germain in Nantes. In der Nachspielzeit kreuzten sich die Laufwege von Diego Silva und Referee Tony Chapron. Ein Versehen, beide hatten nur zum Ball geschaut - Chapron aber fiel, rollte sich am Boden und trat erbost gegen das Schienbein des Nantes-Verteidigers. Damit aber nicht genug. Der erfahrene Schiedsrichter zeigte Diego Silva auch noch die Gelb-Rote Karte. Am Montag wurde Chapron suspendiert.

Die Torlinientechnik funktioniert in Deutschland mit dem britischen Hawk-Eye-System recht reibungslos. Die Diskussionen um ein anderes Hilfsmittel, den Videobeweis, hat Frankreich noch vor sich. Im März will die Liga entscheiden, ob er ab der kommenden Saison eingeführt wird. Laut internen Quellen soll dies nur eine Formsache sein. Gegner gibt es dennoch. Bruno Génésio, Trainer von Olympique Lyon, ist einer davon. »Der Videobeweis wird viel Polemik bringen und das Spiel verderben. Er nimmt den Schiedsrichtern zu viel von ihrer Macht. Sie werden mehr und mehr verzichtbar. Es gibt keine perfekte Lösung. Deswegen sollten wir uns für die am wenigsten schlimme entscheiden.« Doch er selbst weiß auch nicht, welche das sein soll.

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