Frischer Öko-Wind für und in der LINKEN
Lorenz Gösta Beutin erkennt in der Parteistatistik Interessenverschiebungen hin zu Klima- und Umweltschutz
Viel ist schon darüber gedacht, geredet und geschrieben worden: An welche Wählerschaft, welche Klasse, welches Milieu richtet sich eine linke Partei in Deutschland heute? Ist die LINKE eine Partei der Gerechtigkeit, des Sozialen, eine Partei der Umverteilung gesellschaftlich geschaffenen Mehrprodukts, Garantin für die Herstellung materieller Sicherheit und Teilhabe an den Früchten der Wohlstandsgesellschaft? Steht sie exklusiv für Demokratie und Solidarität, die traditionellen Werte der Aufklärung? Oder ist die »alte« Kapitalismus-Kritik an dieser »industriellen Moderne« Geschichte, weil auch die kapitalistische Industriegesellschaft mit Fabriken, Stahlwerken und Bergarbeitern (so gut wie) Geschichte ist?
Leben wir im reichen Norden in einer Welt der »Postmoderne«? Schon alle mehr oder weniger satt, ohne lebensbedrohlichen Hunger und Not würden in der deutschen Wohlstands-Nachkriegsgesellschaft neue Fragen wichtiger. Gesellschaftlicher Ausdruck neuer drängender Fragen im derzeitigen Dienstleistungs-, Wissens- und Informationskapitalismus seien die Frauenbewegung, die Friedensbewegung, die Anti-Atombewegung und die Umweltbewegung. Eine neue Linke müsse sich demzufolge breiter aufstellen, nicht allein die sozialen, auf Erwerbsarbeit zielenden Antworten geben (Die soziale Frage bleibt bestehen!) – sondern gleichberechtigt daneben auch die freie Entfaltung des Einzelnen, die kulturelle Vielfalt, Partizipation an Demokratie und Wirtschaft, Geschlechtergerechtigkeit und den Schutz von Natur, Tieren und Klima auf der linken Agenda haben.
Zerbrechen sich die Genossinnen und Genossen vom Karl-Liebknecht-Haus bis in die Ortsverbände von Kamen-Bergkamen – zu Recht – die Köpfe über den Kurs der Zukunft, zeigen die neuen Mitglieder der LINKEN längst, wohin die Karawane zieht. Die Partei wird jünger, städtischer, ökologischer und westdeutscher. Seit Ende 2016 sind laut einer internen Mitgliederstatistik 8516 politisch Interessierte in Linkspartei eingetreten. Das ist, zieht man die Austritte und durch Tod ausgeschiedenen LINKE-Mitstreiter ab, ein Plus von 5,8 Prozent (Stand: 8.1.2018). Seit dem Jahr 2013 sind in keinem Jahr so viele Menschen eingetreten (2016: 5406; 2015: 3948; 2014: 4339; 2013: 5077).
Eintritts-Rekordmonat war der Bundestagswahl-September: 2461 Bürgerinnen und Bürger nahmen den Urnengang und AfD-Rechtsruck zum Anlass, Politik bei uns anzupacken, rund fünf Mal so viele Neueintritte wie sonst monatlich. Das Image der LINKEN als eine Partei der Alten wird auch überfällig. Über ein Drittel (35 Prozent) sind zwischen 14 und 25 Jahre, ein weiteres Drittel (29 Prozent) 26 bis 35 Jahre. 2017 ist auch, was das absolute Ost-West-Mitgliederverhältnis betrifft, eine Zeitenwende. Gab es 2016 mit knapp 26.755 Mitgliedern im Osten und 24.606 im Westen eine leichte Ost-Mehrzahl, wurden 2017 im Westen mit 28.096 erstmals mehr Genossinnen und Genossen gezählt als in den neuen Bundesländern (26.223).
Damit weht auch ein neuer Öko-Wind in die Partei hinein. Denn die von den Neueingetretenen genannten Interessenschwerpunkte, wofür sie sich stark machen wollen, was ihnen auf den Nägeln brennt, zeigen tektonische Verschiebungen an: Für den »klassischen« Themenblock Arbeit und Soziales wollen sich 2978 Neumitglieder engagieren. Schon auf Platz 2 landet das Umweltthema (944), kurz vor Wirtschaft, Steuern und Finanzen (925). Dass das »postmoderne« Thema Umweltschutz neben den klassischen Themen der sozialen Gerechtigkeit und Arbeit heute so viele Linke bewegt, zeigt die Notwendigkeit, diese gesellschaftliche Realität auch in der Partei abzubilden und die Ökologie noch größer zu machen. Für die Linke des 21. Jahrhunderts lautet der Handlungsauftrag, dass zu »100 Prozent sozial« endlich auch »100 Prozent ökologisch« in die Köpfe, Entscheidungsgremien und auf Wahlplakate kommen muss.
Lorenz Gösta Beutin ist Klima- und Energiepolitiker in der Bundestagsfraktion der LINKEN.
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