Mobil im Plastiklabyrinth
Der Verein »Interbrigadas« will eine spanische Landarbeitergewerkschaft mit einem Bus unterstützen
Frische Tomaten, Melonen oder Paprika füllen auch im Winter die deutschen Supermarktregale. Möglich machen das Orte wie Almería, der sogenannte Gemüsegarten Europas, wo unter 40 000 Hektar Plastikfolie Millionen Tonnen Obst und Gemüse für den Export produziert werden. Die südspanische Provinz lebt von der Landwirtschaft - die Landwirtschaft wiederum von billigen Arbeitskräften, hauptsächlich aus Marokko, Rumänien und den Subsahara-Staaten. Sie arbeiten für Hungerlöhne, ohne feste Verträge und Schutzmaßnahmen.
Der Berliner Verein »Interbrigadas« ruft angesichts dieser Verhältnisse zu einer Spendenaktion auf. Das Geld soll in einen Kleinbus für die andalusische Gewerkschaft »SOC-SAT« investiert werden. Die »SOC-SAT« versteht sich als radikale Basisgewerkschaft. Seit Jahren kämpft sie in Almería für die Durchsetzung von Rechten migrantischer Arbeiter. Ein Ziel, das vor Ort nur wenige teilen. Und die Ressourcen der kleinen Gewerkschaft sind knapp. Fünf Mitarbeiter stemmen die tägliche arbeitsrechtliche Beratung, Mobilisierung und Streikorganisation im sogenannten Plastikmeer, in dem Zehntausende Migranten arbeiten, Arbeitsrechte und Tariflöhne fast ausschließlich auf dem Papier existieren.
Ein Bus, so die Idee der Gewerkschafter und Aktivisten von »Interbrigadas«, könnte vieles erleichtern. »Mobilität ist die Grundlage für die gewerkschaftliche Arbeit der ›SOC-SAT‹«, erklärt »Interbrigadas«-Mitglied Boris Bojilov dem »nd«. Drei Büros hat die Basisgewerkschaft in der Provinz Almería. Der kaum ausgebaute Nahverkehr macht es für die Gewerkschafter schwierig, regelmäßig und schnell zwischen den Orten zu pendeln. Und die Migranten leben meist zerstreut zwischen den Gewächshäusern, in kleinen selbst hergerichteten Hütten, fernab von Dörfern und Bushaltestellen. »Um die Arbeiterinnen in den Betrieben und an ihren Wohnorten erreichen und mobilisieren zu können, ist die Gewerkschaft auf einen Bus angewiesen«, so Bojilov. Bisher müssen sich die Gewerkschafter wenige Privatautos teilen, um im Plastikmeer mobil zu sein.
Seit anderthalb Jahren kooperiert der internationalistische Verein »Interbrigadas« mit der kleinen Basisgewerkschaft. Mehrmals im Jahr fahren Aktivisten aus Berlin für einige Wochen in die Provinz Almería. Sie dokumentieren die Zustände, sammeln Informationen über Produzenten und Lieferketten und unterstützen die Gewerkschaft bei Arbeitskämpfen. In Deutschland versuchen sie, mit Diskussionsveranstaltungen und Filmvorführungen auf Profiteure und Leidtragende des internationalen Agrarsystems aufmerksam zu machen. Eine Solidarisierung entlang der Lieferkette ist die Idee, zwischen Konsumenten, Arbeitern, Bauern und Aktivisten. Für die Zukunft sind etwa internationale Kampagnen zu Menschenrechtsverletzungen in den Gewächshäusern geplant, die Druck auf Rewe, Lidl und Co ausüben sollen.
Die »SOC-SAT« ist auf die Unterstützung aus dem Ausland angewiesen, vor allem in finanzieller Hinsicht. Mitgliedsbeiträge decken nur einen Bruchteil der Ausgaben und spiegeln eines ihrer größten Probleme wieder: Eine langfristige Bindung der Arbeiter an die Gewerkschaft gelingt bisher kaum. Denn viele der Migranten verlassen das Plastikmeer, sobald sich die Gelegenheit bietet. Und kaum einer hat angesichts permanenter Existenzängste Zeit oder Geld, die Gewerkschaft dauerhaft zu unterstützen. »Die Arbeiter wenden sich an uns, wenn sie ein akutes Problem haben. Dann werden sie Mitglied, aber im nächsten Jahr hören wir oft nichts mehr von ihnen«, erzählt die Rechtsexpertin der »SOC-SAT«, Laura Góngora.
Gewerkschaftliche Arbeit in der Region bedeutet in erster Linie ein ständiges Werben um Vertrauen. Viele Migranten haben mit den spanischen Institutionen schlechte Erfahrungen gemacht. Hinter Polizei, Politikern, Unternehmern und teilweise auch Gewerkschaften vermuten sie ein korruptes Kartell, das an einem Ende ihrer Ausbeutung kein Interesse hat. Täglich im Plastikmeer, vor den Betrieben und auf den Straßen präsent zu sein, ist für die »SOC-SAT« eine wichtige Grundlage der Vertrauensbildung. Auch dabei soll der Gewerkschaftsbus helfen.
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