Sommer, Sonne, Goldkettchen
Der Film »Beach Rats« setzt ein verhindertes Coming-out in schönes Licht
Frankie weiß es einfach nicht besser. Frankie (Harris Dickinson) lebt im Brooklyn des frühen 21. Jahrhunderts, aber sein Coming-out steht noch in ziemlich weiter Ferne. Zu milieufremd die eigenen Bedürfnisse, zu automatisch die allgemeine Annahme, dass ein gutaussehender Kerl wie er doch richtig Schlag bei den Mädchen haben müsse. Also chattet Frankie nur heimlich mit Männern, im Dunkeln, möglichst unerkannt. Er lebt seine Sexualität nicht aus, gesteht sie sich kaum ein, den anderen schon gar nicht.
Es ist Sommer auf Coney Island, dem Strand- und Jahrmarktsviertel von Brooklyn, und Zeit und Begehren lasten schwer auf den Schultern dieser mit zahlreichen Tattoos und Goldkettchen ausgestatteten Jungs, die stets nach den Körbchengrößen der Mädchen Ausschau halten. Und nach dem Geld in den Taschen anderer, um den »Spaß« zu finanzieren. Wenn die anderen zusehen, reißt Frankie sich zusammen und macht die Mädchen an. Wenn sie nach Alkohol und Drogen verlangen, rückt er die Schmerzmittel für seinen noch jungen, aber schon schwer krebskranken Vater heraus, dem er erschreckend ähnlich sieht. Und frus᠆triert die Mutter, weil er nie ein Mädchen über Nacht bei sich behält. Wenn die Jungs nicht dabei sind, besucht er Online-Chats, in denen Männer sich anflirten, sich ausziehen und mehr.
Simone, seine neueste Strandbeute, hat eine Traumfigur und einen schönen eigenen Kopf - nur steht Frankie eben auf Männer. Was sie nicht mal zu merken scheint: Die Drogen, so denkt sie sich, der ist eben gerade wieder einmal breit. Außerdem hat keiner von beiden an Kondome gedacht. Er nicht, weil er ja nichts vorhatte mit ihr. Und sie nicht, weil die Jungs die »sonst immer« mitbringen. »In welchem Jahr lebst du denn?«, fragt er zurück. Und hat damit ja nicht Unrecht. (Die Frage könnte man ihm allerdings auch stellen.) Dass Simone auch noch wie eine Platte, die einen Sprung hat, dauernd dieselbe Frage stellt: »Findest du mich hübsch?«, macht die Sache nicht besser.
Als er sie persifliert, hat sie genug. Und er geht später hin, um sich bei ihr für die Zumutung zu entschuldigen, dass er nicht spontan über sie herfiel. In der Kirche, bei der Beerdigung des Vaters, ist es dann das Heiligenbildchen vom halbnackten Sebastian, das ihn auch physisch interessiert. Um den Erwartungen zu genügen, bändelt er trotzdem mit Simone an. Die ist allerdings eher für ein paar »Beweis«-Selfies gut als für eine echte Beziehung. Als Frankie sich aber mit den Fragen, ob sie vielleicht schon mal mit Mädchen herumgemacht habe und was sie denn davon halte, wenn Jungs dasselbe täten, einen Schritt weit in Richtung Coming-out vortastet, serviert sie ihn kalt ab: Wenn Mädchen das gemeinsam täten, sei das heiß. Wenn Jungs es machten, sei es bloß schwul.
»Beach Rats«, der zweite Film der US-Regisseurin Eliza Hittman, wurde beim halb progressiven, halb kommerziellen Indie-Filmfest in Sundance mit dem Regie-Preis ausgezeichnet, kann eine französische Kamerafrau vorweisen, die ihre Sache wunderbar macht, und ist auch sonst ästhetisch ein Vergnügen. Die Geschichte mag nicht neu sein, über die totale Gedankenlosigkeit und den ständigen Drogenkonsum der Figuren darf man sich auch ärgern, aber als saftiges Stück Kino ist »Beach Rats« eine reife Leistung.
»Beach Rats«, USA 2017. Regie: Eliza Hittman, Darsteller: Harris Dickinson, Madeline Weinstein, 95 Min.
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