Wenn Zeitzeugen nicht mehr leben

Gedenkstättenleiter Morsch geht in den Ruhestand, sein Nachfolger Drecoll stellt sich vor

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 2 Min.

Seit 1993 hat Direktor Günter Morsch die KZ-Gedenkstätten Sachsenhausen und Ravensbrück schrittweise zu zeithistorischen Museen umgeformt - immer mit Blick darauf, dass irgendwann keine Zeitzeugen mehr leben werden. Dabei sind Begegnungen mit Überlebenden so wichtig, weiß Axel Drecoll, der am 1. Juni Nachfolger von Morsch werden soll. Aber es ist nun einmal nicht zu ändern.

Immerhin sind Sachsenhausen und Ravensbrück im Zuge umfangreicher Baumaßnahmen keine reinen Museen geworden, sondern auch Erinnerungsorte geblieben, wie Kulturministerin Martina Münch (SPD) betont, als sie Drecoll am Donnerstag vorstellt. Der 43-Jährige habe sich als Historiker nicht nur intensiv mit der Zeit des Nationalsozialismus auseinandergesetzt, sondern als Leiter der »Dokumentation Obersalzberg« an Hitlers Refugium in den Alpen auch Erfahrung in der Gedenkstättenarbeit gesammelt, erklärt Münch. Damit sei er »geeignet«, sich um die Sicherung der Gedenkstätten und um die Entwicklung der Gedenkstättenarbeit in Brandenburg zu kümmern.

Die Ministerin reitet bei dem Termin auf der »Doppelfunktion« Sachsenhausens als faschistisches Konzentrationslager und als sowjetisches Speziallager herum. Sie sagt: »Die Erinnerung an das schreckliche Geschehen in Deutschland während des NS-Regimes, aber auch an die Folgen der DDR-Diktatur, verpflichten gerade heute zu einem entschlossenen Eintreten für Toleranz, Demokratie, Pluralismus und Freiheit.«

Der bisherige Direktor Morsch hat die aufeinander folgenden Phasen KZ und Speziallager in der Gedenkstätte Sachsenhausen bewusst räumlich getrennt, um beide Epochen angemessen zu behandeln, ohne etwas irgendwie zu relativieren. Wie er selbst es damit halten werde, dazu möchte Nachfolger Drecoll noch keine Stellung nehmen. Er will sich erst mit den Mitarbeitern beraten. Einstweilen spricht Drecoll nur über die Nazizeit. »Die Beschäftigung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit ist alles andere als bequem«, findet er. »Die Konfrontation mit dem unsäglichen Leid zeigt uns, wie wenig selbstverständlich die freiheitlich-rechtsstaatliche Ordnung ist, in der wir leben.« Die Konfrontation mit Haftstätten und Todeslagern »drängt uns zur kritischen Reflexion und Diskussion, sie zwingt uns, Haltungen zu überdenken und Standpunkte zu vertreten«. Er beobachtet mit Sorge, wie sich die Grenzen dessen verschieben, was man heute wieder sagen zu dürfen glaubt, wie rassistische und antisemitische Anspielungen gemacht werden. Personalie Seite 4

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