Bauwirtschaft am Limit

Industrieverbände beklagen Facharbeitermangel - diesen haben sie aber selbst verschuldet

  • Hermannus Pfeiffer
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zahlen sind blendend. Saisonbereinigt stiegen die Auftragseingänge des Bauhauptgewerbes allein im November um neun Prozent. Ein höherer Auftragseingang war zuletzt im Jahr 1995 erreicht worden, teilte das Statistische Bundesamt in Wiesbaden am Donnerstag mit. Und auch im Vergleich zu den ersten elf Monaten 2016 stiegen die Auftragseingänge im vergangenen Jahr nominal um rund 5,1 Prozent. Als Gründe nennen Experten die gute Wirtschaftskonjunktur, Mangel an Wohnraum und den öffentlichen Investitionsstau.

Aber die Statistik spiegelt ein harmonisches Bild vor, welches es in der Wirklichkeit nicht gibt. Ein Sorgenkind der Branche ist ausgerechnet der Wohnungsbau. Trotz öffentlicher Förderung durch Bund, Länder und Kommunen und trotz hoher Investitionen privater Investoren kommt der Neubau nicht recht voran.

»Es werden genug Wohnungen genehmigt«, stellt die staatliche Förderbank KfW in einer Studie fest, aber es würden nicht genug gebaut. In den vergangenen Jahren wurden demnach 600 000 Wohnungen mehr genehmigt als fertiggestellt. Eigentlich könnte damit »die Nachfrage bis 2020 befriedigt werden«.

Schuld an der Kluft zwischen Genehmigungen und tatsächlichem Geschehen sind Investoren, die Baugenehmigungen »auf Vorrat« einholen, um auf steigende Erstbezugsmieten oder steigende Immobilienpreise zu spekulieren. Die Bauwirtschaft beklagt zudem hohe Auflagen, etwa im Umweltschutz oder für Parkplätze sowie fehlende Liquidität bei Teilen der potenziellen Kundschaft. Die steigenden Grundstückspreise führen zu höheren Darlehen, die nicht jede Bank oder Sparkasse stemmen will. Unterm Strich erwartet die Branche für 2018 im Wohnungsbau mit einem Umsatz von 43 Milliarden Euro und einem Plus von 3,5 Prozent eine deutlich niedrigere Wachstumsrate als im Wirtschaftsbau (41 Milliarden) und im öffentlichen Bau (33 Milliarden).

Aber vor allem hört man in der Branche Klagen über einen Fachkräftemangel: »Wir finden einfach keine guten Leute mehr«, sagte Peter Hübner, Präsident des Hauptverbandes der Deutschen Bauindustrie, auf der gemeinsamen Jahresauftaktpressekonferenz des HDB und des Zentralverbandes des Deutschen Baugewerbes. »Wir haben absolute Vollbeschäftigung.« 160 Tage dauere es im Durchschnitt, bis eine offene Meisterstelle wieder besetzt werden könne. Die Firmen seien am Limit angekommen.

Schuldlos ist die Branche daran allerdings nicht: Nach 1990, als in den neuen Bundesländern Goldgräberstimmung herrschte, stieg die Zahl der Beschäftigten im Bauhauptgewerbe in kürzester Zeit auf 1,4 Millionen. Vom Höchststand 1995 bis zum Tiefststand der Baukonjunktur 2009 halbierte sich die Zahl der Beschäftigten auf 700 000. Ganze Berufsgruppen werden kaum noch ausgebildet. In der Folge produzieren auf Baustellen in Deutschland fast nur noch ausländische Eisenbieger und -flechter die Betonbauteile.

Viele kleine Firmen konnten sich nach dem Ende des Nachwende-Booms nicht mehr halten. Große Akteure wie Strabag, Wayss & Freytag oder Hochtief bauten lieber vermehrt im Ausland oder überbrückten Spitzenzeiten mit Hilfs- und Facharbeitern aus Osteuropa. Bis heute werden diese oft als selbstständige Subunternehmer getarnt, um Sozialstandards zu umgehen.

Auch die KfW beklagt den Abbau einen »Großteils der (früheren) Kapazitäten«. Zwar wächst die Zahl der regulär Beschäftigten seit einiger Zeit wieder. Doch reicht das nicht, um das zunehmende Auftragsvolumen zügig abzuwickeln. Der Bau eines Mehrfamilienhauses dauert mittlerweile bis zu drei Jahre. »Die Beschäftigung von Bauarbeitern aus dem Ausland kann die Engpässe kurzfristig nur unvollkommen beheben«, warnen Analysten. Und jene Beschäftigung geht zudem auf Kosten der Entsendeländer. Denn auch in Polen, Rumänien und Bulgarien wächst die Nachfrage nach Bauhandwerkern.

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