Erwachen in der Havelniederung

Vor 40 Jahren wurde Europas größtes Binnen-Feuchtgebiet von der DDR für die Ramsar-Konvention gemeldet

  • Gudrun Janicke
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Zeit muss um mindestens 50 Jahre zurückgedreht werden: Europas einzigartiges Feuchtgebiet im Unteren Haveltal westlich von Berlin soll wieder werden wie früher. Statt den Fluss in einem Bett zu bändigen, wird der Havel auf ihren letzten 100 von insgesamt 345 Kilometern wieder mehr Raum gegeben. Danach fließt sie in die Elbe.

Im 11. Jahrhundert wurden Deiche an der Elbe errichtet und die Untere Havel wurde damit vom Menschen indirekt beeinflusst. Reguliert wurde der Fluss ab Mitte des 19. Jahrhunderts.

Doch seit etwa 30 Jahren entsteht zwischen Pritzerbe, Premnitz und Rathenow in Brandenburg sowie Havelberg in Sachsen-Anhalt wieder eine naturnahe Landschaft. »Es ist das größte Renaturierungsprojekt an einem Fluss in Europa«, sagt Rocco Buchta, Projektleiter und Sprecher des Bundesfachausschusses Lebendige Flüsse des Naturschutzbundes (NABU).

Mit der Meldung des Gebietes als »Feuchtgebiet von internationaler Bedeutung« 1978 hatte die DDR einen Beitrag zur sogenannten Ramsar-Konvention geleistet. 1971 wurde die nach einer iranischen Stadt bezeichnete internationale Vereinbarung verabschiedet, bislang haben 169 Staaten unterzeichnet. Dabei geht es um den Schutz und die nachhaltige Nutzung von Feuchtgebieten, zu denen neben Flüssen, Seen und Auen auch Küsten und Moore zählen. Deutschland ist mit 34 Ramsar-Gebieten vertreten, die sich über fast alle Bundesländer verteilen.

Naturschützer Buchta ist quasi am Fluss aufgewachsen. Als Jugendlicher erlebte er, wie dem Gewässer die Landwirtschaft, die Trockenlegung und die Befestigung der Ufer mit Steinen zu schaffen machten. »Die Wunden waren zuletzt nicht mehr übersehbar«, sagt der 53-Jährige.

Seit 2005 ist das Havel-Feuchtgebiet ein rund 20 000 Hektar umfassendes Naturschutz-Großprojekt. Das Zusammentreffen mehrerer großer Urstromtäler macht die Havelniederung zu einem besonderen Gebiet. 30 000 Hektar Auen- und Feuchtgebiet werden immer noch etwa sechs Monate im Jahr überflutet. Das Wasser fließe langsam und erwärme sich schneller - ein 1a-Lebensraum für Plankton und Mikroorganismen, erklärt Buchta.

Fischotter und Biber sind heimisch, auch Sumpfschildkröten, Kreuzottern und mehr als 40 Fischarten. Über 1100 vom Aussterben bedrohte oder stark gefährdete Tier- und Pflanzenarten sind bekannt. Zehntausende Entenvögel, Rallen, Kraniche, Regenpfeifer und Schnepfenvögel rasten zweimal im Jahr in der Region.

Was ist in den vergangenen Jahrzehnten passiert? 90 Prozent des Areals werden derzeit landwirtschaftlich genutzt, jedoch darf Grünland nicht mehr in Acker umgewandelt werden. »Wir müssen nach und nach angerichtete Umweltsünden wieder beseitigen«, sagt Buchta. Von 2005 bis 2020 stehen rund 25 Millionen Euro für die Renaturierung der Havel bereit. 75 Prozent kommen vom Bund, elf Prozent vom Land Brandenburg, sieben Prozent von Sachsen-Anhalt, der Rest stammt vom Naturschutzbund. Mit dem Förderprojekt sollen etwa 30 Kilometer Uferbefestigungen und zwei Deiche entfernt, 15 Altarme und 66 Flutrinnen wieder angeschlossen werden. Zwölf Kilometer sind bereits renaturiert, vier Altarme und 20 Flutrinnen angeschlossen. Zehn Hektar Auenwald wurden gepflanzt. Das langfristige Ziel lautet: 250 Hektar neuer Auenwald. Buchta kann schon wieder wie in seiner Jugend von einem Sandstrand aus Eisvogel, Biber und Fischotter beobachten. »Es ist heute wieder ein unbeschreiblicher Genuss«, sagt er. dpa

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