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Arbeitssuche mit Peitsche, aber ohne Zuckerbrot
Finnische Regierung will passive Arbeitslose künftig mit Kürzungen bei den Sozialleistungen bestrafen
Das von der bürgerlichen finnischen Regierung beschlossene Aktivierungsmodel, mit dem Arbeitslose gezwungen werden, aktive Arbeitssuche gegenüber dem Arbeitsamt zu dokumentieren, trifft auf zunehmenden Widerstand. Für Freitag hat der Gewerkschaftsbund SAK zu einer Protestdemonstration in Helsinki aufgerufen. Bus und Bahn in der Hauptstadt werden nicht fahren, Großbaustellen sollen geschlossen bleiben. Die organisierten finnischen Hafenarbeiter haben zudem einen 24-stündigen Solidaritätsstreik angekündigt. Die Beschäftigtenvertreter wurden während der parlamentarischen Diskussion zum Gesetz nicht oder nur spärlich angehört.
Das Aktivierungsmodel sieht vor, dass Arbeitslosen die Unterstützung für mindestens einen Tag gestrichen wird, wenn sie nicht nachweisen können, innerhalb von 65 Tagen entweder mindestens 18 Stunden Lohnarbeit geleistet oder 240 Euro als Selbstständige verdient zu haben. Auch wer eine fünftägige Jobaktivierungsmaßnahme, einen Arbeitssuchekurs oder eine Weiterbildungsmaßnahme absolviert hat, ist aus dem Schneider, alle anderen träfe die Kürzung. Hinzu kommt, dass das Arbeitslosengeld in Finnland gerade so die notwendigsten Bedürfnisse absichert.
Die Gewerkschaften kritisieren an der Neuregelung, dass es gar nicht ausreichend Weiterbildungsmöglichkeiten gibt, die von den Arbeitsämtern anerkannt werden. Zudem sind die Mittel für Weiterbildung und Kurse gekürzt worden. Auch bezweifeln sie, dass es klug ist, wenn Arbeitslose ungeachtet ihrer Ausbildung eine Kurzzeitbeschäftigung annehmen müssen. Die Sprecherin der Gewerkschaft Handel, Hotel- und Gaststättenwesen PAM, Mari Kettunen, erklärte: »Diese Forderung nimmt den Arbeitssuchenden Zeit, Arbeit entsprechend ihrer Qualifikation zu suchen. Auch vermissen wir den Beleg, dass Kurzzeitjobs ein Vorteil für die spätere Karriere sein sollen.« In anderen Stellungnahmen wird darauf hingewiesen, dass solche Jobs vielleicht im Großraum Helsinki zu finden sind, aber nicht in strukturschwachen Gebieten im Norden und Osten Finnlands. Arbeitsminister Jari Lindström räumte ein, dass das Modell in seiner jetzigen Form Defizite aufweist und dass die Auswirkungen im Auge behalten werden müssten.
Bereits während der parlamentarischen Behandlung des Gesetzes gab es Proteste in einer besonderen Form. Zahlreiche Abgeordnete und Minister, allen voran der Arbeitsminister, erhielten unaufgeforderte Bewerbungen von Arbeitslosen, die gern für sie arbeiten wollten.
Dabei sieht die Konjunktur in Finnland derzeit grundsätzlich gut aus, die Arbeitslosenzahlen sinken. Gegenwärtig liegt die Quote bei etwas über sieben Prozent - gegenüber mehr als acht Prozent vor einem Jahr. Besonders positiv ist es, dass die Arbeitslosigkeit in der Altersgruppe 15 bis 24 von über zwölf auf rund acht Prozent gesunken. Gegenwärtig sind etwa 275 000 Finnen ohne Beschäftigung.
Ab 2020 soll es weitere Regelungen geben, um die Jobsuche der Finnen anzuspornen. Dann muss der Arbeitssuchende dem Arbeitsamt wöchentlich über seine Arbeitssuche berichten, um Anspruch auf Unterstützung zu behalten. Die Inspirationsquelle hierfür und für das Aktivitätsgesetz scheint Dänemark zu sein. Hier müssen Arbeitslose seit langem mindestens zwei motivierte Bewerbungen pro Woche nachweisen.
Nach 18 Wochen muss ein Arbeitssuchender sich einen Praxisplatz besorgen und mehrere Wochen arbeiten, um weiter Arbeitslosengeld beziehen zu können. Indem die Arbeitslosen qualifizierte Arbeit in Vollzeit verrichten, soll die Attraktivität von Lohnarbeit bewahrt werden. Allerdings bekommen die Arbeitslosen dafür nur Sozialleistungssatz bezahlt und müssen sich nebenbei weiter bewerben. Bezahlte Weiterbildungslehrgänge sind möglich, müssen vom Arbeitslosen aber erkämpft werden, da die Kommunen die Kosten tragen müssen. Insbesondere ältere Arbeitslose mit jahrzehntelanger Arbeitserfahrung empfinden die Behandlung als äußerst demütigend. Damit es in Finnland gar nicht erst soweit kommt, wollen die Beschäftigten bei den Protesten am Freitag noch mal deutlich ihre Kritik vorbringen.
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