Polnisches Geschichtsgesetz verabschiedet

Sorge um Redefreiheit und Forschung / Israel verschärft im Gegenzug Gesetz zu Verbrechen in Nazizeit

  • Stephan Fischer
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Senat in Warschau, die zweite Kammer des polnischen Sejm, hat in der Nacht zu Donnerstag die international umstrittene Vorlage zum Geschichtsgesetz gebilligt. Darin wird unter anderem die Titulierung von deutschen Vernichtungslagern in Polen während des Zweiten Weltkriegs als »polnisch« unter Strafe stellt. Im Oberhaus stimmten 57 Senatoren für und 23 gegen das Gesetz, das mit der noch ausstehenden Unterschrift von Präsident Andrzej Duda in Kraft treten kann. Die Vorlage hatte international Irritationen ausgelöst, im Verhältnis zu Israel entwickelte sich in den letzten Tagen eine diplomatische Krise. Das hat jedoch wenig mit der irreführenden Titulierung deutscher Todeslager zu tun, gegen die sich Polen seit Langem wendet.

Ein gewichtiger Streitpunkt liegt in der Formulierung des Gesetzes, nach der »der polnischen Nation keine Verantwortung oder Mitverantwortung (...) an Naziverbrechen zuzuschreiben ist«. Die Zuweisung von Verbrechen des Dritten Reiches an das polnische Volk steht demnach unter Strafe - aber wie sieht es mit der »unbestreitbaren Verstrickung polnischer Mitläufer und Täter im Holocaust« aus, wie sie Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München, vor Kurzem noch einmal benannte? Forschungen und wissenschaftliche Publikationen sollen vom Gesetz nicht betroffen sein - aber gerade auch um die wissenschaftliche Freiheit drehen sich die Sorgen. So äußerte sich Dariusz Stola, Direktor des Warschauer Museums der Geschichte der Juden in Polen, besorgt: Eine Atmosphäre der Einschüchterung werde wahrscheinlich entstehen, »die Forscher, insbesondere junge Menschen, von schwierigen Themen über die Verbrechen des 20. Jahrhunderts auf polnischem Boden abschreckt«. Darüber hinaus werde das Gesetz mit »ziemlicher Sicherheit von vielen als Versuch wahrgenommen, Diskussionen über die von Polen verübten Verbrechen (...) zu unterdrücken« und diese Diskussionen als Vorurteile gegen Land und Leute zu diskreditieren, so Stola in einem Statement auf der Website des Museums. Ähnliche Kritik wies Präsident Duda zurück: Polen könne sich in dieser Frage »absolut nicht zurückziehen«.

Der polnischen Regierung geht es bei dem Gesetzesvorhaben um den Ruf des »guten Polens« im Ausland. Aber gerade von dort kommt Kritik: Die US-Regierung befürchtet, das Gesetz könne der Redefreiheit und der historischen Debatte schaden - und warnte vor »möglichen Auswirkungen« auf »strategische Interessen Polens« in Bezug auf die USA und Israel. Dort beschloss die Knesset die Verschärfung eines Gesetzes, das unter anderem die Leugnung und Verwischung der Verbrechen von Nazi-Kollaborateuren unter Strafe stellt. Nach Angaben des Portals »onet.pl« vom Donnerstag erwägt Israel offenbar seinerseits, seine Botschafterin aus Warschau abzuziehen. Mit Agenturen

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