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Putin überall
Der Kampf um Einfluss auf dem Westbalkan nimmt an Schärfe zu
»Weniger ist manchmal mehr«, sagt Niko Lovrinovic und sieht dabei nicht sehr glücklich aus. Der Mann sitzt mit Mandat des Bosnien-Ablegers der nationalkonservativen Kroatischen Demokratischen Union (HDZ) im Parlament in Sarajevo. Genauer gesagt, im Europa-Ausschuss, der einen Mehrfronten-Dauerkrieg mit Brüssel führt. Insgesamt dreizehn EU-Behörden befassen sich mit dem Westbalkan und haben zu dessen Integration in europäische Strukturen bisher elf, teilweise miteinander konkurrierende Strategien und dreizehn Aktionspläne ausgeheckt. Ihre Synthese kommt der Quadratur des Kreises gleich, dem Koordinator, dem schwedischen Diplomaten Lars-Gunnar Wigemark, EU-Sonderbeauftragter für Bosnien-Herzegowina, sitzt zudem die Zeit im Nacken. Am 6. Februar will Bulgarien, das derzeit die EU-Präsidentschaft innehat und die Integration des Westbalkans zur Priorität erklärt hat, im Europaparlament ein schlüssiges Konzept vorlegen.
Europa, rügte Ekaterina Sacharieva, die Chefin des Sofioter Außenamtes dieser Tage, habe sich bisher auf dem Westbalkan nicht ausreichend engagiert. Daher würden dort zunehmend Länder an Einfluss gewinnen, die nicht zur »europäischen Völkerfamilie gehören«. Gemeint waren die Türkei und vor allem Russland.
Der Kreml, warnen Kenner der Materie in der Region wie in Moskau, habe durch die Machtübernahme pro-europäischer Gruppierungen in Mazedonien und durch den NATO-Beitritt Montenegros im letzten Sommer zwei schwere Schlappen auf dem Westbalkan erlitten. Daher trachte er nach Revanche und werde den Druck auf Serbien, vor allem jedoch auf Bosnien und Herzegowina erhöhen.
Auch Wladimir Putin, glaubt der Moskauer Balkan-Experte Artjom Ulunjan, müsse angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Misere zu Hause bei der Wiederwahl im März eine neue außenpolitische Trumpfkarte ausspielen, um die 64 Prozent von 2012 zu toppen: Der Anschluss der Krim und Russlands Erfolge in Syrien hätten keine Strahlkraft mehr.
Anders als in Montenegro, das Russland Unterstützung für den missglückten Staatsstreich im Oktober 2016 vorwirft, mit dem radikale Gruppierungen den NATO-Beitritt verhindern wollten, setzt Moskau in Bosnien auf Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen und auf »soft power«: Auf die Stärkung einer im Entstehen begriffenen Allianz zwischen orthodoxen Serben und katholischen Kroaten. Beide streben nach Anschluss an die jeweiligen Mutterländer, können ihn jedoch wegen der ethnischen Mehrheitsverhältnisse nur gemeinsam auf den Weg bringen. Denn die muslimischen Bosniaken 50 - Prozent der Gesamtbevölkerung - stemmen sich gegen die Zentrifugalkräfte.
Auch der Dayton-Vertrag, mit dem die internationale 1995 den Bosnienkrieg - den mit Abstand blutigsten Waffengang beim Zerfall Jugoslawiens - beendete, erlaubt nicht, dass Bosnien sich in seine ethnischen Bestandteile zerlegt. Moskau gehört zu den Garantiemächten, wäre jedoch der heimliche Gewinner einer Neuordnung der Region. Das dann entstehende Großserbien wäre pro-russisch, Rumpfbosnien Einflussgebiet der befreundeten Türkei.
Verhindern kann das schlimmste aller Szenarien nur der Westen. Doch Europa wie die USA seien derzeit sehr mit sich selbst und mit anderen Baustellen beschäftigt, klagt Kroatiens Ex-Außenministerin Vesna Pusić. Das Ergebnis: Die anfängliche Europa-Euphorie schlägt auf dem gesamten Westbalkan zunehmend in Enttäuschung um. Dort ist Putin der mit Abstand populärste ausländische Politiker. In Serbien, im Norden des Kosovo wo Serben die Bevölkerungsmehrheit stellen, oder in Banjo Luka, dem Verwaltungszentrum der bosnischen Serbenrepublik, ist er omnipräsent. Sein Konterfei dräut in Kiosken von T-Shirts oder Kaffeetassen. Bei Linken punktet der Kremlherrscher mit Antiamerikanismus, bei Rechten mit seinem erzkonservativen Wertekanon.
Zwar hat Bulgarien die Kandidaten zum Wettrennen beim EU-Beitritt aufgerufen. Doch 2025, das angepeilte Ziel, dürften die meisten um Längen verfehlen. Bosnien hat bisher noch nicht einmal den für die Eröffnung konkreter Verhandlungskapitel nötigen Fragebogen aus Brüssel ausgefüllt. Serbien macht mit seiner umstrittenen Justizreform gerade wieder einen Schritt zurück. Kosovo kann sich nicht zur Ratifizierung eines Abkommens über den Grenzverlauf zu Montenegro durchringen und vergeigt damit nicht nur den Beginn von Beitrittsverhandlungen, sondern auch die visafreie Einreise seiner Bürger nach Europa.
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