Knackpunkt »Kurze Vollzeit«

Hunderttausende nahmen an den ganztägigen Warnstreiks in der Metall- und Elektroindustrie teil

  • Jörn Boewe
  • Lesedauer: 3 Min.

Die IG Metall hat ihre 24-Stunden-Warnstreiks am Freitag noch mal deutlich verstärkt. Im Süden wurden vor allem die großen Automobilhersteller und ihre Zulieferer einbezogen, im Norden bestreikte die IG Metall Küste Airbus und die Werften.

In Bayern legten um Mitternacht rund 7000 BMW-Beschäftigte in München die Arbeit nieder. »Das ganze Stammwerk steht still«, erklärte IG-Metall-Sprecher Horst Lischka. Im größten deutschen BMW-Werk in Dingolfing traten nach nach Gewerkschaftsangaben 13 700 Beschäftigte ab 5 Uhr morgens in den Streik. Die IG Metall Bayern erklärte, am Freitag rolle in dem Bundesland »kein Auto vom Band«. Bereits am Donnerstag hatten in Bayern rund 23 000 Beschäftigte gestreikt, vor allem in der Zulieferindustrie. In Baden-Württemberg konzentrierten sich die Arbeitskämpfe vor allem auf Daimler und Porsche. »Im Daimler-Werk in Sindelfingen sind alle Zufahrtstore mit Streikposten besetzt«, sagte Gewerkschaftssprecherin Rebekka Henschel. Im Daimler-Werk Untertürkheim und im Porsche-Werk Zuffenhausen war die komplette Nachtschicht am Ausstand beteiligt.

Im Norden legten Beschäftigte beim Flugzeugbauer Airbus die Arbeit nieder: Mehrere Werke in Hamburg, Bremen und Niedersachsen wurden bestreikt, auch Zulieferer waren betroffen. Auf den Werften TKMS in Kiel, Meyer in Papenburg, der Rostocker Neptunwerft und beim dortigen Schiffsmotorenhersteller Caterpillar folgten rund 30 000 Beschäftigte dem Aufruf der IG Metall.

Lesen Sie auch: In diesen 250 Firmen hat die IG Metall gestreikt – Eine nd-Recherche

Insgesamt zählte die Gewerkschaft allein am Freitag 304 000 Beschäftigte, die sich am Streik beteiligten. Am Mittwoch hatten bundesweit rund 80 000 und Donnerstag etwa 100 000 Beschäftigte die Arbeit niedergelegt, um im festgefahrenen Tarifkonflikt Druck aufzubauen. Die IG Metall fordert sechs Prozent mehr Lohn über eine Laufzeit von einem Jahr, die Arbeitgeber hatten 6,8 Prozent über zwei Jahre geboten. Zuletzt hatte die Gewerkschaft einen Kompromissvorschlag für acht Prozent in 27 Monaten unterbreitet.

Warnstreiks in 250 Betrieben in Deutschland

Dass die Verhandlungen am vergangenen Wochenende in Stuttgart dennoch ergebnislos abgebrochen worden waren, liegt aber nicht an der Lohnfrage. Der Knackpunkt ist die Forderung nach »kurzer Vollzeit«: Die Gewerkschaft will durchsetzen, dass jeder Beschäftigte seine Arbeitszeit für zwei Jahre von 35 auf 28 Stunden verkürzen können soll - mit teilweisem Lohnausgleich für Schichtarbeiter und Beschäftigte mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen sowie Rückkehrrecht zur Vollzeit.

Die Unternehmer weisen das kategorisch zurück: »Wir können einer solchen Forderung nicht zustimmen«, unterstrich Gesamtmetall-Präsident Rainer Dulger am Freitag im ZDF-Morgenmagazin. Die Forderung sei illegal, ungerecht und passe »politisch überhaupt nicht in die Zeit«.

Beide Seiten wollen in der kommenden Woche die Verhandlungen wieder aufnehmen. Zuletzt war das Modell eines »erweiterten Urlaubsgeldes« diskutiert worden. Schichtarbeiter oder Beschäftigte mit Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen hätten die Möglichkeit, statt Geld zusätzliche freie Tage zu nehmen.

Die Frage der »kurzen Vollzeit« hat strategische Bedeutung. Die IG Metall rückt zum ersten Mal seit dem verlorenen Streik für die 35-Stunden-Woche im Osten im Jahr 2003 eine arbeitszeitpolitische Forderung ins Zentrum der Tarifauseinandersetzung. Ein Kompromiss, so hoffen viele in der Gewerkschaft, könnte als Türöffner für eine auf lange Sicht angelegte Arbeitszeitoffensive wirken.

Eine Einschätzung, die man im Arbeitgeberlager offenbar teilt, nur unter umgekehrten Vorzeichen: Für die Unternehmer, die daran arbeiten, Arbeitszeiten weiter zu verlängern und gesetzliche Schutzstandards abzusenken, wäre ein Anspruch auf Verkürzung mit teilweisem Lohnausgleich eine gefährliche Bresche, die keinesfalls geschlagen werden darf.

- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -