Ökologie mit Skipiste
Im Kino: »Big Time« porträtiert einen visionären Architekten
Von Caroline M. Buck
Als Kind tobte Bjarke Ingels gern zu Hause auf dem Flachdach herum. Als Schüler nahm er Jobs an, die ihm Zeit zum Denken ließen, wie Zeitungsaustragen und Lagerarbeit. Als Student lernte er Zeichnen an der Kunstschule und wurde dann Architekt. Bjarke Ingels ist Däne, jung und (zu Beginn des Films) Single. Ein Mann mit baulichen Visionen, der in jeder Baugrube das Potenzial sieht, nicht die möglichen Probleme. Denn denen kann man beikommen.
Weil er begabt war, nie viel Zeit mit den Hausaufgaben verbrachte und gern auf Partys ging, waren es die Eltern, die seinen Aufnahmeantrag für den Studienplatz ausfüllten. Vermutlich das letzte Mal, dass Bjarke Ingels sich eine Entscheidung aus der Hand nehmen ließ. Als Kaspar Astrup Schröder seinen Dokumentarfilm über Ingels begann, war Ingels schon international erfolgreich, hatte Schulen gebaut und Wohnblocks und Museen und schickte sich an, den letzten Turm des neuen World Trade Center zu entwerfen.
So ist der Titel des Films, »Big Time«, der Karriere des Architekten entlehnt: BIG, das ist die Bjarke Ingels Group. Und die eröffnet zu Beginn des Films gerade ein zweites Büro in New York: Big Time in Big Apple. Das Tolle am Architektendasein sei das Bauen von Gebäuden, sagt Bjarke Ingels. Etwas zu schaffen, das so noch nie da war. Die Welt zu verändern, Stein um Stein. Aus einer Müllverbrennungsanlage das höchste Gebäude Kopenhagens zu machen - und eine olympische Skipiste gleich dazu, in einer Stadt ohne natürliche Anhöhen. Eine Müllverbrennungsanlage, die Dampfringe ausstößt, so dass aus den unvermeidlichen Schornsteinen etwas wird, das Spaß macht.
Was der Filmemacher auch zeigt, sind Gespräche zwischen Architekten und den Auftraggebern der Bauprojekte, die für die ehrgeizigen architektonischen Projekte das Geld bereitstellen (sollen). Nur dass dies ein dänischer Film ist, über einen dänischen Architekten, also finden die Gespräche am Frühstückstisch statt. Die Klagen der Bauherren aber sind die üblichen: Es sei ja schön - und auch sehr dänisch -, wenn man das Unmögliche möglich machen wolle. Aber der sozioökologische Gedanke dürfe nicht zu weit gesponnen werden, man wolle doch in erster Linie eine Müllverbrennungsanlage geliefert bekommen.
Dass das Gegenargument des Architekten, mit dem Skipisten-Projekt habe man internationale Wettbewerbe gewonnen, die Bauherren kaltlässt, ist verständlich. Aber dieser Architekt ist sich seiner Sache sicher: Wir werden die praktischen Probleme lösen, so wie wir noch immer alle Probleme gelöst haben, lautet sein Credo. Ingels sieht sich selbst als Feldherr, der jede, wirklich jede Schlacht gewinnen muss, sonst ist das Projekt am Ende. Und er führt als Beispiel sein liebstes Bauwerk an: die Oper in Sydney, auch das Werk eines Dänen, der sich zehn Jahre an baulichen und ökonomischen Problemen abarbeitete - und schließlich gefeuert wurde, bevor sein Bau zur internationalen Ikone wurde.
Bjarke Ingels wird in diesem Film als Architekt mit einer genuinen Vision präsentiert. Schlagfertig, artikuliert, voller Zukunft. Ungefähr in der Mitte dieses schönen, großformatigen Films steigt er dann plötzlich ziemlich oft in Taxis. Störgeräusche setzen ein, aus sportunfallbedingten Kopfschmerzen - und dem Dauerstress mit dem Doppelbüro auf zwei Kontinenten - wird eine Diagnose: Hirntumor. Ingels zählt all die großen Architekten auf, die vor der Zeit verstarben. Er wird, so hört man am Ende, zu denen erst einmal nicht gehören. Und das, so sieht es aus, ist denn wohl gut so.
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