Suche nach den Erben

NS-Raubkunst in Görlitz

  • Miriam Schönbach
  • Lesedauer: 2 Min.

Vorsichtig, mit weißen Handschuhen nimmt Katarzyna Zinnow ein Glas aus einem Regal im Depot des Kulturhistorischen Museums in Görlitz. »Das Aussehen von Steinglas erinnert an Halbedelsteine. Es wurde im 19. Jahrhundert von Friedrich Egermann in der Glasmacherstadt Nový Bor entwickelt«, sagt die Kunsthistorikerin. In den vergangenen zwei Jahren war sie in Inventarbüchern und im Magazin auf der Suche nach NS-Raubkunst unterwegs. Das Steinglas der Sammlung Wilhelm Perlhöfter gehört zu ihren Fundstücken.

Andächtig stellt Zinnow das Stück wieder zwischen die anderen zerbrechlichen Objekte. Wie ein Puzzle haben sie und eine weitere Herkunftsforscherin die Geschichte der Objekte aus den Jahren 1933 bis 1942/43 zusammengetragen. »Etwa 1500 Objekte wurden in dieser Zeit ›angekauft‹«, sagt die Projektmitarbeiterin. Denn neben Schenkungen, Nachlässen und Tauschgeschäften fallen besonders die »Überweisungen aus Schlesien« ins Auge.

Dahinter verbergen sich unrechtmäßig beschlagnahmte Kunstwerke - vom Gemälde bis zum Kunstgewerbe jüdischer Sammler. Diese Unternehmer prägten zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Kunst- und Kulturszene in Schlesien. Die Nationalsozialisten enteigneten ihre Betriebe, beschlagnahmten ihre Kunstgüter und deportierten viele Menschen in Konzentrationslager. Schätzungsweise 600 000 Kunstwerke wurden zwischen 1933 und 1945 von Deutschen in Europa gestohlen oder zum Spottpreis erworben.

Kolonialwaren-Großhändler Wilhelm Perlhöfter wird zum Beispiel nach dem Novemberpogrom von 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald gebracht. Nach seiner Freilassung wandern er und seine Familie nach Großbritannien aus. Seine Sammlungen werden »gesichert und weiterverwertet«, wie es damals hieß. »Es ist erstaunlich, welche Persönlichkeiten Schlesiens sich am Kunstraub beteiligten«, sagt Kai Wenzel, Kunsthistoriker am Museum. Zu diesen Mitläufern zählt neben den Leitern der Museen in Wrocław, Nysa, Bytom und Prudnik auch der langjährige Görlitzer Museumschef Siegfried Asche.

Asche gelingt es auf »penetrante Art, die Situation auszunutzen, und die Besonderheiten nach Görlitz zu lotsen«, sagt Wenzel. Er bringt ein Gemälde von Lovis Corinth genauso in sein Museum wie Arbeiten von Adolf Dressler, Fritz von Uhde, Wilhelm Trübner, Albert Weisgerber sowie Skulpturen von Georg Kolbe. Ordentlich verzeichnet er jeden Neuzugang in den lückenlos überlieferten Inventarbüchern. Manche Kunstgegenstände gibt er weiter, worauf der Hinweis »Tausch« hinweist. Da verliert sich ihre Spur. Von den 1500 Objekten haben die Görlitzer Herkunftsforscher eindeutig 115 als Fälle von NS-Raubkunst identifiziert. »Aber nur neun sind im Bestand, fünf Verdachtsfälle gibt es, bei denen wir nicht ausschließen können, ob es Raubkunst ist. Der Rest gilt als Kriegsverlust«, sagt die Provenienzforscherin. dpa/nd

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